„Die Seele der Chinesen“

VORTRAG Als Psychoanalytikerin arbeitete die Ärztin Antje Haag 20 Jahre lang in China

■ hat als Psychoanalytikerin und Oberärztin an der Uni Hamburg gearbeitet. Ab 1988 war sie 20 Jahre lang als Dozentin in China tätig. 2011 erschien ihr Buch „Versuch über die moderne Seele Chinas“.

taz: Frau Haag, sind Menschen aus dem chinesischen Kulturkreis für Psychotherapeuten anders als Europäer?

Antje Haag: Ja – weil die Seele der Chinesen aus einer völlig anderen kulturellen Tradition heraus ganz anders „konstruiert“ ist. Sowohl der konfuzianistische Hintergrund als auch eine lange kollektivistische Gesellschaftsform bedingen eine andere Grundeinstellung. Nämlich eine, die auf Einordnung oder Anpassung angelegt ist. Unser westliches Ideal ist auf Selbstbestimmung angelegt.

Was bedeutet der Unterschied für Psychotherapeuten?

Die Psychoanalyse passt nicht gut zu einer Kultur der Einordnung. Ich glaube, dass man zum Beispiel die Familie stärker einbeziehen müsste. Wir müssen aber auch sehen, dass sich China in einer Übergangsphase befindet, wenn nicht sogar in einer Art neuer „Kulturrevolution“, in der sich – zumindest in den Metropolen – die Lebensstile ändern.

Führt die Kultur der Unterordnung bei Frauen zu besonderen Belastungen?

Ich habe den Eindruck, dass die chinesischen Frauen – zumindest die in den Städten – sehr selbstbewusst sind und Maos Geschenk „die Hälfte des Himmels“ gut angenommen haben. Ich habe einige männliche Patienten erlebt, die darunter litten.

Birgt die chinesische Kultur eine besondere sexuelle Unterdrückung?

Schwer zu beantworten. Als ich 1988 nach China kam, gab es eine erschütternde Unwissenheit über Sexualität und starke Ängste bei beiden Geschlechtern. Jetzt gibt es in den großen Städten viel Promiskuität, daneben aber auch viele Hemmungen. Und psychische Störungen, die sich aus den Ängsten ergeben. Interview: KAWE

17.30 Uhr, Vortrag im Haus der Wissenschaft, Sandstraße 2