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Verheddert in Lübeck

Im Spielfilm „Die Amitié“ geht es um Arbeitsmigration und freundliche Rebellion: Doch bekommt der Netzwerkgedanke dabei zu viel, die Dramaturgie zu wenig Gewicht

Von Wilfried Hippen

Agnieszka und Dieudonné fahren im gleichen Reisebus nach Lübeck. Sie ist Polin und wird dort als Pflegekraft arbeiten. Er kommt von der Elfenbeinküste, um in einem riesigen Gewächshaus Tomaten zu ernten. Beide werden von ihren Arbeitgeber*innen schlecht bezahlt und rücksichtslos ausgebeutet, auch wenn diese sich als Akademiker und Biogärtnerin für links und fortschrittlich halten.

Aber mit diesen Themen der Arbeitsbedingungen von illegal in Deutschland lebenden Ar­beits­mi­gran­t*in­nen sowie der Doppelmoral des linksliberalen Bildungsbürgertums halten sich die Fil­me­ma­che­r*in­nen von „Die Amitié“ nicht lange auf. Denn die eigentliche Hauptrolle spielt die Titelheldin: „Die Amitié“ ist ein Netzwerk, das die beiden Protagonist*innen mit vielen anderen Unterdrückten verbindet, und das sich zu einer Schwarmintelligenz im digitalen Netz entwickelt hat – einer KI, deren oberste Direktive die Solidarität ist.

Mithilfe der Amitié können Migrationsrouten geplant, Geld transferiert und Jobs vermittelt werden. Sie versendet ihre Botschaften über die Smartphones der Menschen, und wenn diese sie sich mit Visieren aus Pappe (die an Virtual-Reality-Brillen erinnern) vor die Augen halten, können sie über Nacht erstaunliche Fähigkeiten entwickeln und neue Sprachen lernen. Unter dem Radar der deutschen Mehrheitsgesellschaft entsteht so eine Bewegung, durch die vermeintlich Schwache und Marginalisierte eine Macht bekommen, die so schnell wächst wie die Informationen, die das Kollektiv der Amitié sammelt.

Agnieszka und Dieudonné werden so von Objekten zu Subjekten, von rechtlosen Arbeitskräften zu kreativ Arbeitenden, die ihre Jobs so gut machen, dass sie unentbehrlich werden und so an Einfluss gewinnen. Agnieszka ist schnell die Einzige, die noch mit dem demenzkranken Vater ihres Brotherrn kommunizieren kann und Dieudonné hilft bald der Chefin des Biohofs bei der Buchhaltung. Und so ist es möglich, dass eine illegal eingereiste Flüchtlingsfamilie heimlich im Keller des Lübecker Professorenheims Unterschlupf findet und in dem Gewächshaus der virtuelle Klassenkampf sprießt.

Diese utopische Wunschfantasie von einer Ermächtigung des globalen Lumpenproletariats wird zum Teil sehr witzig und mit übersprudelnder Fantasie inszeniert. Wenn sich die Fil­me­ma­che­r*in­nen darauf konzentriert hätten, wäre „Die Amitié“ zu einem subversiven Sehvergnügen geworden. Doch das Netzwerk ist leider auch das alles beherrschende Gestaltungsprinzip des Films, sodass bei Buch und Regie das „Kollektiv Amitiè“ genannt wird, obwohl dann versteckt Peter Ott und Ute Holl als Au­to­r*in­nen und Re­gi­sseu­r*in­nen auftauchen. Im Pressetext liest sich das so: „Die Amitié ist ein Netzwerkfilm. Freundinnen und Freunde haben in diesem Netzwerk Knoten besetzt und damit neue Verbindungen geschaffen.“ Das bedeutet, dass viele ihre Ideen in das Projekt einbrachten und ohne durchgehende Dramaturgie zu viel davon auch umgesetzt wurde.Da hilft es wenig, wenn die Szenen mit Sylwia Gola in der Rolle der Agnieszka, Walter Hess als der von ihr gepflegte Demenzkranke und Christoph Bach als dessen Sohn gut geschrieben und mit einer großen Emotionalität inszeniert wurden. Die vielen verschiedenen Erzählstränge und Stilmittel verwirren so stark, dass man Mühe hat, all das Gesehene zu enträtseln. Da sind zum Beispiel virtuelle Bildlandschaften, in denen Fragmente von Realbildern so willkürlich durcheinanderwirbeln, als sei ein digitales Animationsprogramm sich selbst überlassen worden. Sowohl der narrative als auch der ästhetische Mehrwert dieser Sequenzen ist gering.

Witzig wird die Fantasie von der Ermächtigung des Lumpenproletariats inszeniert

Das gilt auch für die bemühte Szene nach dem Tod des Demenzkranken, in der er in einem Lieferwagen von einem schlechtgelaunten Griechen mit Metaxa bewirtet und ins Schattenreich gefahren werden soll, was die Amitié verhindert: Sie hat inzwischen so viel Macht, dass sie ihn kurz wiedererwecken kann. Überschlau ist auch die Szene am Ende des Films, in der die Prot­ago­nis­t*in­nen einen schlafenden alten, weißen Mann finden und behaupten, dies sei derjenige, der alles nur träumt. Dann stirbt er, doch der Traum geht weiter.

Der Film entpuppt sich so als Kopfgeburt allzu vieler Köpfe. Und das ist schade, denn immerhin wird hier auch mit viel utopischem Erfindungsreichtum von einer Superintelligenz der Unterdrückten erzählt – und vom Beginn einer humanistischen Revolution durch künstliche Intelligenz.

Previews: Abaton, Hamburg, 14. 3., 19.30 Uhr, und Filmhaus, Lübeck, 17. 3., 17.30 Uhr. Bundesweiter Filmstartam 21. 3.

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