ÖSTERREICHS RECHTE WILL LINKE THEORIE WIDERLEGEN
: Wenn Klischees zutreffen

KNAPP ÜBER DEM BOULEVARD

ISOLDE CHARIM

Wie stellen Sie sich Österreich vor? Traumhafte Landschaft, schattige Badeplätze und kleine Jungs, die mit Heil-Hitler-Rufen ins Wasser springen? Damit liegen Sie goldrichtig. Das ist natürlich ebenso ein Klischee wie jenes der Fremdenverkehrswerbung, aber wie es mit Klischees manchmal so geht: Genau so ist es.

Es war übrigens ein Unterschichtjunge, erkennbar an der Hawaiibadehose und drei blonden Strähnen im Haar. Mir fiel dabei die politische Philosophie der französischen Linken ein, für die seit Foucault der richtige politische Kampf darin besteht, dass die Unterdrückten für sich selbst sprechen sollen. Prominentester Vertreter dieses Konzepts ist heute wohl Jacques Rancière.

Für Rancière ist die eigentliche politische Auseinandersetzung seit der griechischen Polis jene der Ausgeschlossenen, die Teil des Demos werden wollen. Grundlegende Bedingung dafür ist, das eigene Ausgeschlossensein zu artikulieren, zu benennen. Die elementare Form des Politischen wäre demnach der Anerkennungskampf jener, die keinen festen Platz in der Gesellschaft, die keinen „Namen“ haben. Es ist der Kampf darum, als Teil des Ganzen gezählt zu werden. Dazu muss ihre Stimme gehört werden. Das Leitbild für diese Form des Ausschlusses ist natürlich längst nicht mehr die Arbeiterklasse, sondern es sind Migranten, Asylsuchende, Sans-Papiers. Sie sind es, die da sind und dennoch keinen festen Platz im Gesellschaftsgebäude haben. Sie zählen nicht.

Paradox ausgeschlossen

Tatsächlich aber haben wir heute eine Situation, in der es nicht nur Gesellschaftsteile mit festem Platz und solche ohne einen solchen gibt. Es gibt nämlich neben den radikal Ausgeschlossenen noch etwas anderes: die paradox Ausgeschlossenen. Das sind jene, die zugleich zählen und nicht zählen. Sie zählen bei der Wahl, aber sie zählen nicht sozial, gesellschaftlich. Sie haben einen Platz als Staatsbürger, aber sie können diesen nicht füllen, denn im sozialen Gefüge haben sie keinen. Es gibt also nicht nur Eingeschlossene und Ausgeschlossene.

Es gibt auch noch ein Drittes – die Unterschicht mit ihrem paradoxen Status. Diese kommt als solche bei Rancière nicht vor. Sehr wohl aber für die Rechte, die genau diese inneren Ausgeschlossenen im Blick hat. Ihr politischer Status ist nicht der von Marxens Proletariat, das nichts als seine Ketten zu verlieren hat, noch ist es der der Arbeitermassen, die alle Räder stillstellen kann, wenn sie es will. Aber wenn bei einer Wahl die verschiedenen Individuen ihre Besonderheiten in die Abstraktion der reinen Zahl auflösen, wie es bei Claude Lefort heißt, dann zählen sie – im wahrsten Sinne des Wortes. Man könnte sagen: Sie haben keinerlei Macht, außer die, gezählt zu werden.

Es gibt also zwei verschiedene Formen des gesellschaftlichen Ausgeschlossenseins, die politisch relevant werden können. Genau das hat die sehr lebendige österreichische Rechte – und Rechte meint hier nicht ein paar nette konservative Neocons, sondern eine radikale Rechte, die sich zunehmend wieder in Richtung Regierung bewegt – sehr genau erkannt. Sie ist gewissermaßen gerade dabei, die politische Philosophie der französischen Linken zu widerlegen.

Schleusen geöffnet

Die sogenannten Unterschichten zählen für sie doppelt. Zum einen werden sie, die inneren Ausgeschlossenen, in Stellung gebracht gegen äußere Ausgeschlossene wie die Migranten. Zum anderen geht es darum, sie als Wähler zu mobilisieren. Aber auch die Ermächtigung zur Selbstermächtigung kommt nicht zu kurz. Auch wenn das anders klingt, als sich das Rancière gedacht hat. Ihre Stimmen werden nunmehr gehört. Ob das wirklich die Stimme der Unterschicht ist, bleibt dahingestellt. Aber die Rechten haben Schleusen geöffnet, durch die gewisse Stimmen immer deutlicher vernehmbar werden. Es sind Stimmen, die ihren fehlenden Platz in der Gesellschaft durch das Verbotene markieren. Die ihr Ausgeschlossensein durch ein anderes Ausgeschlossenes „artikulieren“. Stimmen wie die von dem Jungen, der Heil-Hitler im Bad ruft, bevor er sich in die Fluten stürzt.

Die Linke schaut dabei hilflos zu und versucht sich in sozialarbeiterischer Politik. Danach sprang der Junge nur noch mit dem Ruf „Jude“ ins Wasser.