: In Schönheit sterben
Wenn Sie mit Blick auf das Foto denken, es könnte auf dieser Seite um Tennis gehen, betrachten Sie es vielleicht noch mal genauer. Das Bild zeigt Roger Federer. Er hat die Rückhand durchgeschwungen, der Bewegungsablauf ist beendet. Federer hat Tausende formvollendete Rückhandschläge im Lauf seiner Karriere gespielt. Er steht da, als könne man ihn als Statue direkt in Stein meißeln. Aus einem Guss ist hier alles: der Körper und die Verlängerung des Körpers – der Tennisschläger – werden eins. Es geht hier also auch um Ästhetik, Eleganz, Schönheit.
Roger Federer – das ist wichtig – hat die Rückhand einhändig gespielt. Ob man die Rückhand ein- oder beidhändig spielt, ist eine Glaubensfrage im Tennis. Apologeten der monomanuellen Rückhand würden immer behaupten, dass diese das Sakrale verkörpere und die doppelhändig gespielte das Profane. Im Vergleich zur intuitiveren Vorhand ist die Rückhand schwieriger zu spielen. Wer sie einhändig beherrscht, dabei nicht die Unterstützung der zweiten, schwächeren Hand braucht und dann noch ein derartiges Ballett dazu performt wie Federer, dem gebührt wahrlich eine Statue. Nicht umsonst hat der Autor (und Tennisspieler) David Foster Wallace in einem berühmten Text über Federer einmal erklärt, warum es „fast einer religiösen Erfahrung“ gleiche, diesem beim Tennisspielen zuzusehen. Gemäß dieser Metaphorik wäre die Rückhand das größte Heiligtum. Auch für mich waren die Einhänder schon immer eher die Kings und Queens auf dem Court – in den Achtzigern und Neunzigern zum Beispiel Becker, Graf, Sabatini oder McEnroe, dieser Poet auf dem Platz. Sie alle zählten nicht zu den Tennis-Arbeitern, die den Ball mit beiden Händen bemüht auf die andere Seite des Netzes droschen.
„Warum erzählt der mir das alles?“, mögen Sie nun denken. Nun, die einhändige Rückhand stirbt langsam aus. Diese Woche waren in der Weltrangliste in der Top Ten der Männer erstmals nur Beidhänder vertreten. Die naheliegende Deutung wäre: Das Powertennis setzt sich durch, die Federer’schen Tennistänze gehören der Vergangenheit an.
„Der Spitzensport ist eine der wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten für menschliche Schönheit“, schrieb Foster Wallace in besagtem Essay. Tritt die Schönheit nun ein Stück zurück im Tennissport? Behalten Effizienz, Schnelligkeit und Schlagkraft gegenüber Glanz, Grazie und perfekter Technik die Oberhand? Bildet dies gar eine Tendenz im Spitzensport ab? Schönheit, in der Kunst oder im Sport, braucht die Welt dringend wie lange nicht. Folgerichtig ist der Aufschlag für den Gesellschaftsteil in dieser Woche eine blitzsaubere, kerzengerade Rückhand. Einhändig natürlich.Jens Uthoff
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