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Hoffnung gegen Gier

Der schwedische Filmemacher Fredrik Gertten fragt in seinem Dokumentarfilm „Breaking Social“, ob wir uns die Reichen noch leisten können. Heute ist der Film in Göttingen zu sehen

Rote Masken als Protest gegen Sexismus und Gewalt: chilenische Aktivistinnen Foto: Janice D’Avila

Von Wilfried Hippen

Sich zu bemühen lohnt sich nicht. Es ist eine Lüge, dass diejenigen, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten, dafür belohnt werden. Erfolgreich sind diejenigen, die die Regeln brechen und andere für sich arbeiten lassen. Nicht in einer Meritokratie leben wir, sondern in einer Kleptokratie. Mit dieser deprimierenden Analyse beginnt der schwedische Filmemacher Fredrik Gertten seinen Dokumentarfilm „Breaking Social“, wenn er etwa die Gesellschaftsforscherin Sarah Chayes davon erzählen lässt, dass sie die Strukturen der Korruption in Ländern wie Afghanistan untersucht hatte und dann feststellte, dass die gleichen Mechanismen auch in den reichen Industrieländern wirksam sind. Aber auf der Bildebene zeigt Gertten zuerst eine junge Frau, die auf einer sommerlichen Straße wie in Trance (sprich: in Zeitlupe) tanzt. Wie passt das zusammen?

Wer diese Frau ist und warum sie sich so harmonisch bewegt, wird erst viel später im Film deutlich. Denn wichtiger als diese Information ist es Gertten, durch die Bilder von ihr von Anfang an eine hoffnungsvolle Grundstimmung zu schaffen. Und abgesehen von ein paar kurzen Aufnahmen von brutalen Angriffen der Polizei auf friedliche De­mons­tran­t*in­nen in Chile verzichtet er auch sonst auf die Schreckensbilder, die in thematisch ähnlichen gesellschaftskritischen Dokumentationen sonst üblich sind.

Stattdessen zeigt er etwa Sarah Chayes in ihrer Küche mit einer alten Kaffeemühle in der Hand oder wie der Strategie-Analyst Sven Hughes an einem Fluss in England angelt und einen großen gefangenen Fisch wieder ins Wasser gleiten lässt. Dazu erzählt dieser, wie er für die Firma Cambridge Analytica an PR-Kampagnen mitgearbeitet hat, durch die in vielen Ländern Wahlen so beeinflusst wurden, wie es die sehr reichen und einflussreichen Auftraggeber wollten.

Auch auf Malta hat Gertten schöne Bilder von der Altstadt von Valletta, den mediterranen Landschaften und der sonnigen Küste gemacht, während die Journalistin Joanna Demarco davon erzählt, wie ihre Kollegin Daphne Caruna Gelizia ermordet wurde, weil sie Recherchen über Korruption auf der Insel machte.

Gertten weiß, dass Bilder und Stimmungen im Kinofilm wichtiger sind als Worte und Fakten

Gertten erklärt selbst später im Film die Methode, die hinter dieser Diskrepanz zwischen den alarmierenden Aussagen seiner Prot­ago­nis­t*in­nen (bei denen übrigens die Frauen deutlich in der Mehrzahl sind) und deren friedvoll-idyllischer Bebilderung steht. Da wird das sogenannte „Mean World Syndrom“ beschrieben, unter dem jene Menschen leiden, die sich ständig darüber informieren und aufregen, wie schlecht es um die Welt und ihre Zukunft steht. Sie sind passiver als andere, weil sie schneller resignieren.

Darum arbeitet Gertten lieber mit Hoffnungsmomenten, wenn er etwa kleine Kinder auf den Straßen zeigt oder eben die tanzende Melisa Briones: eine Künstlerin, die in Chile die Massendemonstrationen miterlebt hat, die schließlich zu einem Regierungswechsel und einer demokratischeren Neufassung der Verfassung geführt haben.

Hoffnungsvolle Grundstimmung: Gertten setzt auf positive Bilder von Protesten und zeigt wenig Gewalt Foto: Janice D’Avila

In der ersten Hälfte seines Films springt Gertten scheinbar unvermittelt zwischen den Themen und Ländern hin und her: von Malta nach England nach Chile, dann in die USA und wieder zurück. Nach 45 Minuten wird dann aber die Dramaturgie seines Films deutlich. Und wenn Rudger Bregman davon erzählt, wie der Amazon-Gründer Jeff Bezos viele Millionen dafür zahlte, als einer der ersten Weltraumtouristen ins All geschossen zu werden, wird zu Ar­bei­te­r*in­nen in den USA geschnitten, die bei Amazon beschäftigt sind und versuchen, gegen den Widerstand des Konzerns eine Gewerkschaft zu gründen.

Gertten ist so klug, dass er weiß, dass zu viel Information in einem Kinofilm kontraproduktiv ist, weil Bilder und Stimmungen in diesem Medium wichtiger sind als Worte und Fakten. Darum arbeitet er etwa mit Metaphern wie dem gefangenen Fisch des Systemanalytikers oder Geschichten aus der klassischen Mythologie. Etwa mit dem Mythos von Midas, in dessen Händen alles zu Gold wurde, sodass er zugrunde ging, weil er Gold weder essen noch trinken konnte. Dieser vernichtenden Gier nach Reichtum stellt Gertten die erfolgreiche Rebellionen von Ak­ti­vis­t*in­nen gegen einen Yachthafen in Malta, den Ge­werk­schaft­le­r*in­nen in den USA und den De­mons­tran­t*in­nen in Chile entgegen. Und wenn dann schließlich Melisa Briones zum Schluss des Films wieder tanzt, wird „Breaking Social“ fast noch zu einem „Feel Good Movie“.

„Breaking Social“, Regie Fredrik Gertten, Schweden 2023, 93 Minuten; heute, 19.30 Uhr, Lumière in Göttingen mit Diskussion mit dem DGB-Jugendbündnis. Weitere Vorführungen: 10. 4., Hansa Kino, Syke; 27. 5., Casablanca, Oldenburg

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