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Archiv-Artikel

Abstimmung über das Monatseinkommen

VOLKSENTSCHEID In der Schweiz können die Bürger über alle Fragen mitbestimmen. Doch in 121 Jahren waren erst 19 Initiativen auf Bundesebene erfolgreich. Jetzt versuchen es Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Es ist ein sehr attraktives, angesichts der bestehenden Verhältnisse geradezu revolutionäres Versprechen: „Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen erhält jeder Mensch die Möglichkeit, über sein Leben mehr selbst zu bestimmen“, wirbt eine Bürgerinitiative für das Grundeinkommen. „Die Existenzangst nimmt ab, der ungesunde Leistungsdruck lässt nach, die finanzielle Abhängigkeit wird kleiner“, heißt es auf der Webseite. Dadurch werde die Schweiz „solidarischer, vitaler und selbstbewusster“. Monatlich 1.500 Franken soll das Grundeinkommen betragen, also rund 1.250 Euro: „Das führt zu mehr Chancengleichheit und mehr Ausgewogenheit in der Verteilung der Macht. Wir übergeben uns gegenseitig mehr Freiheit und Verantwortung.“

An diesem Samstag fällt der Startschuss bei einem großen Fest in Zürich. Innerhalb von anderthalb Jahren muss die Initiative nun 100.000 Unterschriften sammeln, also von 2 Prozent der Wahlberechtigten. Soziale Bewegung, die nicht nur schöne Ziele verkünden, sondern tatsächlich etwas verändern will, ist also harte Arbeit. Auch in der Schweiz, obwohl hier die basisdemokratischen Mitbestimmungsrechte des Volkes weit stärker ausgeprägt sind als in jedem anderen Staat der Welt.

Hoher Aufwand

Das Sammeln der Unterschriften geht – auch im Zeitalter des Internets – immer noch nur eigenhändig und auf Papier. Sämtliche Unterschriften müssen zudem von den lokalen Einwohnermeldeämtern überprüft werden, damit sie gültig sind. Das Beibringen der Unterschriften verlangt also immer noch genauso viel Personal, Mühe, Nerven und Ausdauer wie vor 121 Jahren, als das Recht auf Volksinitiative in die Schweizer Verfassung aufgenommen wurde. Der notwendige Einsatz ist erheblich: Über 600 Aktivistinnen und Aktivisten haben sich bereits gemeldet, um an Ständen an Straßen und auf Plätzen in fast allen Städten der Schweiz sowie bei weit über 100 Veranstaltungen von Parteien, Kirchen, Vereinen, Gewerkschaften und verschiedenen anderen Organisationen die notwendige Überzeugungsarbeit für das bedingungslose Grundeinkommen zu leisten.

Volksinitiativen können auf Landes-, Kantons- oder Ortsebene und zu jeder beliebigen Frage gestartet werden. Sei es mit dem Ziel, ein neues Gesetz zu schaffen, die Verfassung zu ändern oder die Verwendung von Steuermitteln festzulegen. Seit 1891 wurden 402 schweizweite Volksinitiativen lanciert. Davon konnten allerdings nur 178 die erste Hürde der 100.000 Unterschriften überwinden. Gelingt dies auch der Initiative für das bedingungslose Grundeinkommen, haben die Schweizer Regierung, die politischen Parteien und das Parlament bis zu dreieinhalb Jahre Zeit, über ihre Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung der Initiative zu beraten und bei Bedarf dem Volk einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Danach muss die Regierung einen Abstimmungstermin innerhalb der nächsten zehn Monate festlegen für die eigentliche Volksentscheidung über die Einführung eines Grundeinkommens. Für die Annahme der Initiative aus dem Volk ist dann nicht nur die Mehrheit aller landesweit Abstimmenden erforderlich, sondern zugleich auch eine Mehrheit in mehr als der Hälfte der 26 Kantone.

Die Schweiz gilt als Staat, in dem das Volk dauernd über alles abstimmt. Aber meistens geht es dabei um Angelegenheiten der Gemeinde oder des Kantons. Auf Bundesebene waren seit 1891 jedenfalls erst 19 Volksinitiativen erfolgreich. Als Erste setzten 1893 die eidgenössischen Tierschützer mit einer deutlich antisemitisch und antiislamisch gefärbten Kampagne ein Verbot des Schlachtens ohne vorherige Betäubung durch, das bis dahin bei Schweizer Juden und Muslimen gebräuchlich war. Es folgten die Verbote von Absinth und Spielbanken. Seit den achtziger Jahren war die Umweltbewegung mit Initiativen zum Schutz der Moore, zur Verlagerung des Transitverkehrs auf die Schiene sowie für Moratorien beim Bau neuer Atomkraftwerke und bei der Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft erfolgreich. 2002, nach über 50 Jahren Diskussion, sprach sich auch eine Mehrheit der Eidgenossen für den Beitritt ihres Landes zu den Vereinten Nationen aus.

Rassistische Initiativen

Doch auch Volksinitiativen, die an der Urne oder bereits an der ersten Unterschriftenhürde scheitern, schaffen in der Regel allein schon durch die intensive öffentliche Debatte, die sie auslösen, einen erheblichen gesellschaftlichen und demokratischen Mehrwert. Hinzu kommt, dass auch viele der bislang gescheiterten 383 Volksinitiativen die Regierung und das Parlament zu ähnlichen, wenn auch zumeist nicht so weitgehenden Gesetzesvorlagen bewegten.

Dominiert wird die Debatte um basisdemokratischen Rechte und ihre Eignung als Instrument für soziale Bewegungen derzeit allerdings von den Negativbeispielen der letzten Jahre. Allen voran die erfolgreichen Volksinitiativen für das Verbot neuer Minarettbauten und für die „Abschiebung krimineller Ausländer“ im Jahr 2010. Hinzu kommen mehrere ausländerfeindliche und offen rassistische Initiativen, die zwar letztlich verworfen wurden, aber doch erheblich zur Vergiftung des politischen Klimas beitrugen und zur Verunsicherung der fast 30 Prozent Einwohner ohne Schweizer Pass.

Angestoßen wurden all diese Initiativen von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei unter ihrem Chefstrategen und Hauptfinanzier Christoph Blocher. Zur publizistischen Unterstützung dieser Kampagnen kaufte sich der milliardenschwere Unternehmer Blocher über den von ihm als Strohmann eingesetzten Chefredakteur Roger Köppel die Weltwoche.

Unter Köppel sowie mit Blochers Zürcher Parteifreund Christoph Mörgeli als regelmäßigem Kolumnisten mutierte die einst über die Grenzen der Schweiz hinaus angesehene Wochenzeitung inzwischen zum „Alpenstürmer“. Ihren rassistischen und demokratiefeindlichen Ungeist demonstrierten die Macher des Wochenmagazins zuletzt Anfang April mit einer üblen Verleumdungs- und Hetzgeschichte gegen die europäischen Roma. Die Titelgeschichte gegen die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist bereits in Vorbereitung. Wie die ausfallen wird, hat Chefkolumnist Mörgeli bereits in ersten Verbalattacken gegen die Initiative erkennen lassen. Doch selbst wenn die Initiative am Ende scheitern sollte: Sie wird in der Schweiz eine Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen und über soziale Gerechtigkeit auslösen, wie sie auch in jedem anderen Land Europas geführt werden müsste.