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Aus dem Alltag gerissen

Die EU erhöht den Druck, um abgelehnte Asylsuchende nach Gambia abschieben zu können – unter anderem mit Visa-Restriktionen

Aus Gambia Alagie Manneh

Aus Gambia Alagie Manneh

Ein neues Leben wollte sie mit ihrem Mann beginnen, sagt Zainab Mballow. Das war ihre Hoffnung, als das Paar 2014 aus Gambia nach Deutschland kam. Die beiden flohen in der Zeit der Herrschaft des Diktators Yahya Jammeh. Hunderttausende verließen während dessen autoritärer Führung das Land, auf der Suche nach besseren Perspektiven. Wie viele gambische Migranten gelangten Zainab und ihr Mann mit überladenen Booten an die Küste Europas. Und wie viele zogen sie weiter nach Deutschland. „Dort habe ich alle meine sieben Kinder zur Welt gebracht“, sagt Mballow. Unter ihnen sind zwei Zwillingspärchen.

Doch dort sollte sie nicht bleiben. Gambia zählt zu den Herkunftsländern mit der niedrigsten Asyl-Anerkennungsrate in der EU. Nach Zahlen der Europäischen Asylagentur EUAA lag die Anerkennungsquoten von Gambiern 2022 bei unter zehn Prozent. Die europäischen Asylbehörden lehnen ihre Asylanträge meist als „unbegründet“ ab – und versuchen, die Menschen wieder nach Gambia zurück zu schicken.

So auch die Mballows: Nach neun Jahren Aufenthalt betraten Beamte der Bundespolizei am Morgen des 18. November 2023 ohne Vorankündigung ihre Wohnung in Titisee nahe Freiburg in Baden-Württemberg. An jenem Morgen bereitete sie ihre Kinder auf den Kindergarten und die Schule vor. „Ich sagte ihnen, dass meine Kinder zur Schule gingen. Doch sie bestanden darauf, dass wir zurückgehen müssen,“ sagt Mballow.

Zwei Stunden hatten sie Zeit, ihre Sachen zu packen. Dann wurde die Familie zu einer Polizeistation gefahren, wo sie auf einen Bus zum Flughafen München warteten. Von dort wurde sie mit ihrem, Mann – der in Deutschland gearbeitet hatte – in ein Flugzeug gesetzt und nach Banjul in Gambia geflogen.

Wie Tausende von Gam­bie­r:in­nen waren die Asylanträge der Familie abgelehnt worden. „Geschockt und verzweifelt“ sei sie nun, da sie sich wieder an das Leben in Gambia gewöhnen müssen.

Die Familie lebt heute in einer ärmlichen Gegend von Banjul. Eine Einkommensquelle hat sie nicht. Fatima, die älteste Tochter, hat eine Hautkrankheit bekommen, im Dezember kam ein anderes Kind wegen Brustschmerzen für mehrere Tage ins Krankenhaus. „Die Kinder sind nicht mehr sie selbst. Es fällt ihnen schwer, sich hier zurechtzufinden“, sagt Mballow.

In Baden-Württemberg sind Gam­bie­r:in­nen unter den Ausreisepflichtigen die größte Gruppe. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben rund 6.500 ausreisepflichtige Gam­bie­r:in­nen in Deutschland. 2023 wurden 394 Menschen aus Gambia aus Deutschland abgeschoben – bei 13.100 Abschiebungen ist das ein relativ hoher Anteil für das kleine Land. Doch das war nicht immer so. Über die Jahre hat die EU sich die Regierung in Banjul in Sachen Abschiebungen gefügig gemacht.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind zwischen 2015 und 2020 über 33.000 Gambier irregulär nach Europa eingereist. Mehr als 20.000 leben dort heute als Ausreisepflichtige. Wenn es nach den Behörden geht, soll diese Zahl schnell sinken. Sie machen deshalb schon länger Druck auf die neue Regierung in Gambia.

Schon 2018 hatten Gambia und die EU ein als „Good-Practice-Dokument“ betiteltes Rücknahmeabkommen unterzeichnet. Es sollte der EU die Abschiebung abgelehnter Asylsuchender ohne Reisedokumente erleichtern – so wie im Fall der Familie Mballow. Solche Abkommen sind in Afrika sehr unpopulär. Die gambische Regierung leugnete zunächst die Existenz der Abmachung – und setzte sie dann schnell wieder aus: Im Februar 2019 zog Gambia die Erlaubnis für Charter-Sammelabschiebeflüge zurück, von Juni bis Oktober 2019 wurden auch Abschiebungen mit Linienflügen unterbrochen.

In jenem Jahr wurden 3.730 gambische Staatsangehörige aus der EU ausgewiesen. 405 kehrten tatsächlich nach Gambia zurück. Mit dieser Rückführungsquote von etwa elf Prozent liegt Gambia im Durchschnitt afrikanischer Herkunftsländer. Die EU versucht seit Jahren, diese Quote auf 30 Prozent zu erhöhen.

Das ist unter anderem deshalb so wenig erfolgreich, weil viele der Abgelehnten keine Pässe haben. Ohne die kann man sie nicht abschieben. Die gambischen Behörden – und auch jene vieler anderer Herkunftsländer – kommen Anträgen europäischer Ausländerbehörden, Abschiebepapiere auszustellen, häufig nicht nach. 2019 etwa gab es 1.066 so genannte „Rückübernahmeersuchen“ aus der EU an die gambischen Behörden. Diese stellten 606 Reisedokumente aus. Der EU waren das zu wenige.

Laut einem internen EU-Dokument klagen die Mitgliedstaaten, dass die gambischen Behörden sich „nie oder fast nie“ an die Abmachungen für die Vorbereitung von Abschiebungen halten würden. Drei Mitgliedstaaten schlossen deshalb 2019 bilaterale Abschiebeabkommen mit Gambia.

Auf Druck der EU sagte Gambia zunächst zu, den Abschiebe-Sammelchartern ab 2020 wieder Landeerlaubnisse zu erteilen. Doch dann unterbrach die Covid-Pandemie die Abschiebungen.

Gambia ist das erste Land, bei dem die EU von einem neuen Instrument Gebrauch machte, um die Kooperation bei Abschiebungen zu erhöhen: Sie hob im Dezember 2020 die Gebühren für Visa an. Die Zusammenarbeit bei „Rückübernahmeangelegenheiten“ sei „weiterhin unzureichend“, hieß es zur Begründung bei der Kommission. Die höheren Visagebühren sollten ein „deutliches Signal an die gambischen Behörden sein“, dass man mehr erfolgreiche Abschiebungen wünsche

Im November 2022 wurden die Visa-Beschränkungen weiter verschärft. Und die Abschiebemaschinerie kam wieder in Gang – auch auf Grundlage des zwischenzeitlich revitalisierten „Good-Practice-Dokuments“. Gambia gestattete nun die Landung monatlicher Aschiebe-Charterflüge aus der EU, auch die Mballows kamen so nach Banjul. „2023 wurden fast 400 Gam­bie­r:in­nen auf Grundlage des Good-Practice-Dokuments zurückgeführt“, sagt der in Baden-Württemberg lebende gambische Aktivist Yahya Sonko. Der letzte Flug im Jahr 2023 mit 35 Menschen an Bord hob im Dezember ab. „Die Regierung hofft, dass die Visabeschränkungen aufgehoben werden und die EU ihre Zusagen für Entwicklungshilfe einhält,“ sagt Sonko.Im Oktober schrieb der EU-Rat, dass die Zusammenarbeit bei den Abschiebungen „immer noch unzureichend“ sei.

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