piwik no script img

Anthroposophische KreativitätMein Hocker ist dein Hocker

Künstlerischen Ausdruck zu fördern, schreiben sich die Waldorfschulen auf die Fahnen. Allerdings ist die künstlerische Freiheit stark eingeschränkt.

Neon, Pastell oder Schwarz waren genauso verboten wie Filzer oder Bleistifte Foto: Lutz Wallroth/Shotshop/imago

W aldorfschulen und kreativ-künstlerische Förderung? Beim Betreten eines Waldorfklassenzimmers sieht man meist einen Klassensatz fast identischer Bilder an der Wand hängen. Ich erinnere mich gut daran, wie wir als Klasse unsere Bilder betrachtet und besprochen haben. In meinen Zeugnissen wurde mein Umgang mit Farben jedes Jahr bewertet.

Rudolf Steiner meinte wohl, dass Kinder ein angeborenes Gefühl für Wahrheit hätten, das Gefühl für Schönheit jedoch erst im Kind entwickelt werden müsse. Hat bei mir geklappt. Ich habe relativ schnell ein feines Gespür dafür bekommen, was erwünscht war und was nicht. Und so habe ich angefangen in der Schule anders zu malen als zu Hause.

Mir fiel letztens erst auf, wie eingeschränkt die Farben und Materialien dabei waren. Seit Jahrzehnten diktiert die Farbpalette der anthroposophischen Firma Stockmar die Stimmung und Textur aller Bilder in der Unterstufe. Neon, Pastell oder Schwarz waren genauso verboten wie Filzer oder Bleistifte. Beim Handarbeiten wurde Wert auf Pflanzengefärbtes gelegt und ich stritt mit der Lehrerin über akzeptable Farbverläufe.

In der Waldorf-Fachliteratur für Handarbeitslehrkräfte steht, dass man sich gut in der Temperamentenlehre schulen solle und die Kinder entsprechend bei der Farbwahl und in ihrer Arbeit „unterstützen“. So sollen z.B. nicht die geschickteren Kinder die härteren Materialien bekommen, sondern die „cholerischen“.

Wir arbeiteten immer alle an dem gleichen traditionellen Werkstück: In der 8. Klasse war es ein Hocker – den ich meiner Mutter schenkte. Viele Jahre später hatte ich ihn wieder in der Hand und wunderte mich, weil die Beine gröber gehobelt waren, als ich das erinnerte. Ich hatte mich extra bemüht. Und tatsächlich entdeckte ich fein mit Bleistift den Namen einer Mitschülerin an der Unterseite. Es war einfach niemandem aufgefallen, weil sie, wie so oft, alle fast identisch aussahen.

Um meine vielen handwerklichen und künstlerischen Fertigkeiten wurde ich oft beneidet. Ich war auch stolz drauf und habe nach dem Abi mehrfach probiert mich künstlerisch auszudrücken: Musik, Plastizieren, Zeichnen, Handarbeiten … es hat sich immer eher beklemmend angefühlt, und ich habe es recht schnell aufgegeben.

Ich musste erst Steiner und Co. lesen, um den Zusammenhang besser zu verstehen. Wir wurden neben der „Erziehung zur Schönheit“ permanent in unserer seelischen Entwicklung beurteilt und „gefördert“. Die Farben, die ich beim Sticken auswählte, wurden genauso zur Beurteilung herangezogen wie meine Art zu stricken.

Strickte ich zu fest, war meine Seele zu verkrampft und das konnte dann Einfluss darauf haben, welche Rolle ich im nächsten Klassenspiel zugewiesen bekam oder wie mein Sozialverhalten beurteilt wurde. Immer gab es diesen analytischen, pseudotherapeutischen Blick.

Und ich habe ihn gehasst.

Auch wenn ich noch keine Worte dafür hatte und nicht wusste, dass hinter meinem Rücken „Kinderbesprechungen“ stattfanden, wo man z.B. darüber entschied, ob ich Heileurythmie bräuchte.

Anders als gedacht, ging es nie vorrangig um Kreativität oder Selbstausdruck. Es ging um Inkarnation, Ausgleich von „Einseitigkeiten“ und esoterische „individuelle Förderung“. Oder halt um Manipulation, sich fügen und Gehorsam. Je nachdem, wie man es betrachten will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • ... irgendwie tut mir Frau Lea ja wirklich leid.



    Wenn man ein Instrument oder eine Kampfkunst lernt, dann beschwert sich in der Regel niemand darüber, dass man am Anfang erst mal nur Tonleitern oder Grundschritte/Katas übt. Auch bei jeder Schreinerausbildung werden die Auszubildenden erst mal die gleichen Dinge schreinern, bevor sie dann individuelles machen.



    Warum das Rumgehacke auf den Materialen in der Waldorfschule oder darauf, dass halt alle erst mal einen Löffel oder einen Klöppel im Werkunterricht machen.



    Ich bin zur Waldorschule gegangen, und da hat sich dass dann immer mehr aufgelöst, je älter wir wurden und in der 10/11/12 war die Wahl der Themen im Kunstunterricht ziemlich frei.



    Natürlich gibt es auch an Waldorfschulen engstirnige und schlechte Lehrer:innen, wie überall, offensichtlich gab es bei Frau Lea und ihren Schulerfahrungen da einiges, was man niemand wünschen würde. Aber warum man daraus eine monatliche "Ich kotze über Waldorf ab" Kolumne machen muss, erschließt sich mir nicht wirklich...

    • @roneu:

      Schade, dass du den Artikel nicht verstanden hast. Das, obwohl du selber anmerkst, dass Waldorfschulen unterschiedlich sind.

      Zum Teil sind die Unterschiede frappierend. Das einzige was sie definitiv gemein haben, ist der Name und die bedingungslose Bekenntnis zur Esoterik Rudolf Steiners.

      Alles andere ist der jeweiligen Schule und sogar der jeweiligen Lehrkraft überlassen, dank fehlender Kontrollstrukturen.



      Je mehr Rudolf Steiner aber in der Schule und im Unterricht steckt, desto mehr ergeht es den SuS wie der Autorin und um so weniger wie Dir.

      • @BrEin:

        Ich kann nicht erkennen, dass RONEU



        den Artikel nicht verstanden hat. Er/Sie/Es stellt doch nur fest, dass



        das Abarbeiten von Frau Lea an



        ihrer Waldorf-Schulzeit mit regelmäßigen Kolumnen in der TAZ



        auf Dauer ermüdend ist. Ich kenne etliche Waldorfabsolventen, die durchaus kritisch mit ihrer Schulzeit sind, deren beeindruckende und sehr unterschiedliche Biographien aber auch zeigen, dass es nicht unbedingt an der



        Waldorferziehung liegt, wenn man mit dem Leben Schwierigkeiten hat.

    • @roneu:

      Vor allem, da alles FREIE Waldorfschule sind. Jede macht ihren eigenen Kram.



      Und dann hängt es -wie an jeder anderen (staatlichen) Schule auch- am einzelnen Lehrer.