: Nicht die Zeit für große Feiern
Weihnachtsbäume gehören auch in der Ukraine zum Festinventar. Dieses Jahr verzichten viele Städte auf sie – wegen des Kriegs
Aus Luzk Juri Konkewitsch
Die Feiertage stehen bereits zum zweiten Mal im Zeichen von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Weihnachtsbäume sind nicht mehr so üppig und strahlend wie früher, aber zu dieser Zeit symbolisieren sie die Unzerstörbarkeit der Ukrainer*innen. Betriebe versuchen, Neujahrsbäume oder Spielzeug zu verkaufen und eine festliche Stimmung zu verbreiten. Im Internet ist zu lesen, dass es auch im Krieg notwendig sei, eine Pause einzulegen und den Kindern mit Lichtern und Geschenken zumindest etwas Freude zu bereiten.
Doch fast alle Kleinstädte haben Mitteilungen wie diese veröffentlicht: „In der Stadt wird es dieses Jahr keinen traditionellen Neujahrsbaum auf dem zentralen Platz geben. Während der Krieg in der Ukraine weitergeht und unsere Verteidiger für jeden Meter unseres Landes einen hohen Preis zahlen, ist nicht die Zeit für Unterhaltung und Feiern. Vielen Dank an alle, die sich für die Ukraine einsetzen.“ Diese Ankündigung stellte Ivan Lozinskyj ins Netz. Er ist Bürgermeister der Stadt Rudka in der Region Lwiw, die an Polen grenzt.
Im Dorf Knjagininok in der Nähe von Luzk, ebenfalls in der Westukraine, wird es nicht einmal in der Kirche einen Weihnachtsbaum geben. Jeden Sonntagvormittag gibt es hier einen Gottesdienst. Er wird von Pater Michail Buchak geleitet, einem der berühmtesten Priester der Orthodoxen Kirche der Ukraine in der Region. Buchak ist eine öffentliche Person, ein Freiwilliger und ein Geistlicher, der wiederholt an die Front gegangen ist, um die Soldaten moralisch zu unterstützen.
Glücklicherweise gab es im Dezember keine Beerdigungen für an der Front getötete Bewohner aus Knjagininok. Doch seit Kriegsbeginn gibt es bereits mehr als zehn Tote in dem Dorf zu beklagen. In der Fürbitte-Kathedrale des Dorfes werden anstelle eines Baumes Fotos von an der Front gefallenen Soldaten aufgestellt. „Einige Menschen warten auf die Feiertage, andere auf Neuigkeiten über ihren vermissten Sohn, den Vater aus der Gefangenschaft oder den verstorbenen Ehemann“, erklärt Vater Bucha. Er findet, dass alle Dorfbewohn*innen sich des Preises für ruhige Feiertage bewusst sein sollten.
In der Kirche sind dazu unterschiedliche Meinungen zu vernehmen. Eine Frau, Geflüchtete aus der Ostukraine, ist erbost. „Also wirklich: Meine Kinder schlafen seit zwei Jahren mit dem Gedanken ein, dass sie bombardiert werden könnten. Und jetzt nehmen wir ihnen auch noch den Weihnachtsbaum weg!“, schimpft sie. Aber die meisten, die nach dem Weihnachtsbaum in der Kirche gefragt wurden, stimmen zu: „Der beste Feiertag ist der Sieg. Der Baum ist schön, aber das schönste Weihnachten ist es doch, wenn der Vater zu Hause ist und nicht im Krieg.“
In diesem Jahr feiert die Ukraine Weihnachten vom 24. bis 25. Dezember – nach dem Neujulianischen Kalender, wie die meisten europäischen Länder. Deshalb wurden in einigen Großstädten weit weg von der Front Ende November Weihnachtsbäume illuminiert. In der Hauptstadt Kyjiw ist der Baum in diesem Jahr deutlich kleiner als sonst. In Lwiw wurde statt eines Engels zum zweiten Mal in Folge ein symbolischer Panzerabwehr-Igel an der Spitze angebracht – als Symbol für die Unzerstörbarkeit der Ukrainer*innen.
Dieses Mal ist der Jahreswechsel für die Städte günstig. Die Einsparungen wurden von der Bürgerbewegung „Ehrlich“ berechnet. Im Jahr 2021 gaben die größten Städte des Landes 50 Millionen Hrywnja (umgerechnet 1,2 Millionen Euro) aus ihrem Haushalt für Neujahrsbäume und festliche Beleuchtung aus. 2023 beläuft sich diese Summe auf nur noch nur 200.000 Hrywnja (knapp 5000 Euro).
Viele Städte, wie zum Beispiel Winniza, haben beschlossen, bei Weihnachtsbäumen und Lichtern zu sparen, damit mehr Geld an die Armee fließt – für Wintermunition und Drohnen. Wenn ein Weihnachtsbaum aufgestellt wird, kaufen die Behörden kein neues Spielzeug, sondern verwenden altes oder schmücken die Bäume mit Kinderzeichnungen.
In Lwiw wurde ein „Weihnachtsbaum der Kinderträume“ aufgestellt. Er ist mit Schlüsseln behängt. Das bedeutet, dass für Menschen, die durch den Krieg ihr Zuhause verloren haben, die Türen Lwiws und die Herzen der Einheimischen immer offen sind. In Saporischschja wurde zum zweiten Mal in Folge aufgrund der Nähe zur Front und drohender Angriffe kein Weihnachtsbaum im Stadtzentrum aufgestellt. Einheimischen Kindern werden in einem Luftschutzbunker Neujahrsgeschichten vorgelesen.
In der Nähe der stark umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut wird es einen symbolischen Weihnachtsbaum geben. Er wurde sechs Kilometer von der Stadt entfernt von dem Freiwilligen Evgeniy Tkachew aufgestellt. Das Bäumchen, mit gelber und blauer Neujahrsdekoration behängt, steht an der Straße, die zur Front führt.
„Mir war klar, dass dies für einige Militärangehörige, die hier vorbeikommen, der letzte Weihnachtsbaum in ihrem Leben sein könnte. Denn hier ist die Front. Doch ich wollte ihre Stimmung zumindest ein wenig aufheitern und sie an Weihnachten erinnern“, so der Freiwillige. Mittlerweile hat der Baum schon einen Namen: Die Ukrainer*innen bezeichnen ihn als „Hauptweihnachtsbaum des Landes“.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
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