Knapp bei Kasse

SOZIALES Fast 9.000 erwerbslose EU-Bürger, die in Berlin leben, bekommen kein Hartz IV mehr

Manuel Paredo ist wütend. Bisher hat der in Berlin lebende spanische Staatsbürger Hartz IV bekommen. Doch vor einigen Wochen teilte ihm das Jobcenter Neukölln mit, dass er künftig kein Geld mehr beziehen wird.

Der Grund dafür ist ein juristischer Einwand, den die Bundesregierung Anfang März gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) erhoben hat, das die Fürsorgeleistungen auf EU-Ebene regelt. In den vergangenen Wochen wurde infolgedessen zahlreichen in Deutschland lebenden EU-BürgerInnen schriftlich mitgeteilt, dass schon bewilligte Hartz-IV-Leistungen widerrufen und Neuanträge abgelehnt werden.

Kräfte aus dem Ausland

In Berlin können rund 8.660 Erwerbslose aus EU-Ländern davon betroffen sein, erklärte nun die Senatorin für Arbeit und Integration, Dilek Kolat (SPD), als Antwort auf eine mündliche Anfrage des Piratenabgeordneten Alexander Spieß. Allerdings geht die Senatorin davon aus, dass der Anteil derjenigen, die vom Entzug der Leistungen betroffen sind, wesentlich geringer ist – weil viele erwerbslose EU-BürgerInnen Anspruch auf Leistungen nach dem SBG II haben. Kolat kritisierte den Kurs der Bundesregierung: „Da Deutschland mehr denn je auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, sollte jede Erschwerung für arbeitsuchende Europäer vermieden werden. Gegenwärtig besteht aus Sicht des Senats keine begründete Sorge, dass es zu einer vermehrten Einwanderung in unser Sozialsystem kommen könnte.“

Die Maßnahme wurde mit dem Argument begründet, dass durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise verstärkt Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland kommen und sich hier arbeitslos melden könnten. Die Initiative „Zusammen! Gegen das Jobcenter Neukölln“ spricht jedoch von „sozialrassistischen Maßnahmen der Bundesregierung, mit der EU-Staatsangehörige ihrer Existenzsicherung beraubt werden“.

Der auf Sozialrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach erklärte gegenüber der taz: „Es sind schon Leute in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Dies liegt wohl auch daran, dass sie nicht ausreichendes Wissen über ihre Rechte und Klagemöglichkeiten haben“.

Andere wehren sich mit Eilverfahren vor dem Sozialgericht gegen den Stopp von Hartz IV. Nach Ansicht von Achenbach sind ihre Chancen gut. Der Einwand der Bundesregierung könnte gegen das in der Europäischen Verordnung enthaltene Diskriminierungsverbot verstoßen und daher rechtswidrig sein.

Widerspruch einlegen

Anwalt Lutz Achenbach rät allen Betroffenen, so schnell wie möglich Widerspruch einzulegen. Die Sozialberatung am Heinrichplatz will mehrsprachige Informationen erarbeiten. Die Initiative „Zusammen!

Gegen das Jobcenter Neukölln“ lädt am morgigen Mittwoch um 19 Uhr zu einem Vernetzungstreffen in die Meuterei in die Reichenberger Straße 58 ein. Neben Informationen für die Betroffenen soll dort auch über politische Protestmaßnahmen gegen den Vorgang beraten werden. PETER NOWAK