berliner szenen: Die singen immer dasselbe
Baulärm ist in Berlin allgegenwärtig: Ständig wird gebaut, ein Dach erneuert, eine Straße aufgerissen, ein Haus hochgezogen. In meiner Wohnung wurde letztens auch gebaut: Nach jahrelangem Hin und Her kommen endlich drei Menschen, um unser Badezimmer mit Wasserschaden komplett auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen. Neben Gehämmer und Gestöhne gesellt sich bald ein weiterer Sound dazu: Schlagerradio tagein tagaus. Ich leide Höllenqualen. Aber ich wurde gut erzogen, also biete ich tagein tagaus zu den Klängen von Roland Kaiser und Andrea Berg einen Kaffee an. Aber immer wenn die Handwerker draußen Mittagspause machen, gehe ich heimlich in das abgerissene Badezimmer und drehe den Lautstärkeregler des Radios runter.
Als mich eine Freundin besucht, eilt sie mir zur Hilfe. Sie geht ins Bad und fragt höflich, aber forsch: „Entschuldigung, wir haben eine Schlagerallergie. Können Sie nicht einen anderen Radiosender einschalten?“ „Nein, das geht nicht“, bekommt sie zur Antwort, „nur bei Schlager kann ich arbeiten, das geht da rein und da wieder raus.“
Letztens im Taxi höre ich vertraute Klänge: Schlagermusik ist unverkennbar. Wieso er das hören würde, frage ich den Taxifahrer. „Ich höre das, um Deutsch zu lernen. Die singen immer dasselbe, das klappt ganz gut“, erwidert dieser. Und diesem Argument kann ich tatsächlich etwas abgewinnen. Aber sind Schlagertexte da die richtige Wahl? Ich empfehle ihm Punkrock, die Songtexte sind auch recht eingängig.
Inzwischen sind die Bauarbeiten beendet und das Radio weg, der Wasserschaden allerdings ist wieder da. Ich seufze. Da werde ich eine funktionierende Dusche bald wieder gegen Baulärm und Schlagerradio eintauschen müssen.
Julia Tautz
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