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Bürgergeld-Sanktionen verfassungs­widrig?

Als Reaktion auf SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil schrieb die sächsische Landtagsabgeordnete Jule Nagel (Linke) jüngst auf X: „(…) Komplett-Sanktionen beim #Bürgergeld für sog. ‚Totalverweigerer‘ Das dürfte nicht nur verfassungswidrig sein, sondern wirft auch ein komplett falsches Bild auf So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r*in­nen & deren Lebens­realitäten.“

Richtig ist:

Heil will Bürgergeld-Beziehenden die Leistung vollständig streichen, „wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. Das Bürgergeld soll dann laut Gesetzentwurf maximal zwei Monate entfallen. Entsprechendes hat der Minister am Donnerstag in die Regierungsabstimmung gegeben. „Es kann nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringt“, sagte Heil.

2019 befasste sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingehend mit Sanktionen beim Bürgergeld-Vorgänger, dem Arbeitslosengeld 2 (Hartz IV). Das Gericht kam zum Schluss, dass nach Pflichtverletzungen allenfalls eine 30-prozentige Kürzung der existenzsichernden Leistung möglich ist. Es gebe keine Erkenntnisse, dass eine 60-Prozent-Kürzung oder gar eine völlige Streichung zu sinnvollen Ergebnissen führe. Im Gegenteil: Häufig verelenden Betroffene, verlieren ihre Wohnung, brechen den Kontakt zu den Behörden ab, werden sogar kriminell. Ist Heils Plan also verfassungswidrig? Nein, denn bei einer Art der Pflichtverletzung ist laut BVerfG eine Totalstreichung des Regelsatzes möglich: Wenn die „Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit“ abgelehnt wird. Denn damit habe es der Leistungsberechtigte in der Hand, seine menschenwürdige Existenz selbst zu sichern. Nicht zulässig wäre eine Totalstreichung als Sanktion, wenn lediglich Meldefristen versäumt oder Fortbildungen abgelehnt werden. Tatsächlich soll hier weiterhin eine maximal 30-prozentige Streichung möglich sein. Wenn Heil behauptet, sein Plan richte sich gegen „Totalverweigerer“, die „alle Angebote“ ablehnen, ist das falsch. Die Verschärfung bezieht sich nur auf die Verweigerung von Arbeitsangeboten und ist genau deshalb auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch sonst wird Heils Plan Karlsruhe gerecht. In Härtefällen darf das Bürgergeld nicht gestrichen werden. Auch bei einer Totalstreichung muss der Staat weiter die Miete zahlen, damit nicht die Wohnung verloren geht. Wenn die angebotene Stelle doch noch angenommen wird, muss sofort wieder bezahlt werden. Etwa, weil die Arbeit erst Wochen später beginnt. Christian Rath