Syriens Baath-Partei als Auslaufmodell

Seit über vierzig Jahren wird Syrien von der gleichen Partei regiert. An ihren derzeitigen Kongress richten sich zahlreiche Hoffnungen – auch auf ein Mehrparteiensystem. Doch in seiner Rede kündigt Präsident Assad nur Wirtschaftsreformen an

Libanon hat gezeigt, dass politische Veränderungen friedlich möglich sind

VON KARIM EL-GAWHARY

Unter massivem Druck Washingtons und nach dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon debattiert die in Damaskus herrschende Baath-Partei seit gestern über ein Reformprogramm. Es ist der erste Parteikongress, seit die Bruderpartei im benachbarten Irak gestürzt worden ist

Doch die Richtung, die Präsident Baschar al-Assad der Partei gestern bei seiner Eröffnungsrede vorgab, war mehr als vage. Er rief die 1.150 Delegierten lediglich dazu auf, Reformen voranzutreiben, ohne jedoch konkrete Vorgaben zu machen. Dabei sollen ökonomische Reformen Priorität haben.

Auch wenn die Sprecherin des Kongresses, Butheina Schaaban, abstreitet, dass die Entscheidungen des Regimes von dem enormen Druck aus Washington beeinflusst werden, dürfte allen Delegierten eines klar sein: Eine Situation, in der 18 Millionen Syrer seit 42 Jahren von derselben Partei und seit mehr als drei Jahrzehnten von derselben Familie regiert werden, stellt ebenso ein Auslaufmodell dar wie der seit 1963 geltende Ausnahmezustand, der Sicherheitskräften und Geheimdiensten freie Hand gibt. Zusätzlich geschwächt wurde das Regime durch den Verlust seiner libanesischen Einflusssphäre.

Nun wird erwartet, dass der Kongress, der vier Tage lang berät, zumindest den in der Verfassung festgelegten Führungsanspruch der Baathpartei aufgeben und für die Parlamentswahlen 2007 ein Mehrparteiensystem zulassen wird. Dabei sollen allerdings religiöse Parteien wie die Muslimbrüder oder ethnisch definierte Parteien wie kurdische Organisationen ausgeschlossen werden.

In den letzten Monaten waren sowohl die Stimmen der Kritik seitens der Opposition, aber auch innerhalb der Baath-Partei lauter geworden. „Die Baath-Partei sollte realistisch werden und sich in eine ganz normale Partei im demokratischen Prozess umwandeln“, hatte Informationsminister Mehdi Dakhlallah unlängst offen gefordert. Andere wie Aiman Abdel Nour, ein 40-jähriger Baath-Reformer, forderte auf seiner populären Webseite all4syria.org eine Reform innerhalb der Partei und einen nationalen Dialog der Aussöhnung.

Doch für den kommunistischen Oppositionsführer Riad Turk ist das Regime „zu alt und zu reformunfähig und muss begraben werden“. Der 75-Jährige saß bereits viermal, darunter einmal 18 Jahre am Stück, für seine Ansichten in syrischen Gefängnissen. Turk gibt sich optimistisch, dass „das Regime in Richtung seiner Auflösung marschiert und wir daran arbeiten müssen, es zu beenden“. Vom Parteikongress selbst erwartet er dagegen „keine Wunder, da in Wirklichkeit nicht die Partei, sondern das Militär, die Sicherheitsapparate und eine Familienmafia die Macht in den Händen hält“.

Doch die Opposition, ein Sammelsurium aus Muslimbrüdern, kurdischen Parteien, Linken und Nationalisten, ist sich uneins über die Geschwindigkeit der politischen Reform. Viele sehen den benachbarten Irak als eine Art „abschreckende Kristallkugel“ für die Zukunft des multiethnischen und multikonfessionellen Syrien. „Jeder hat Angst vor dem irakischen Beispiel, selbst wenn sie das Regime ins Meer treiben wollen“, erklärt dazu Jassin Hajj Salah, ein 44-jähriger kommunistischer Oppositionsaktivist, der 16 Jahre im Gefängnis verbracht hat. Das Regime selbst verstärkt diese Ängste mit dem Argument: „Gebt euch mit uns zufrieden, denn die Alternative heißt ein islamistisches Regime oder ein Bürgerkrieg.“

Doch die syrische Reformbewegung wurde durch das libanesische Beispiel gestärkt. „Der Libanon hat den Menschen gezeigt, dass politische Veränderungen friedlich möglich sind und dass eine vereinte Opposition die Menschen auf der Straße mobilisieren kann und die Armee dabei neutral bleibt“, erklärte der Regimekritiker Ali al-Atassi unlängst in einem Interview.

Wie viel Manövrierraum die Reformer und Regimekritiker tatsächlich haben, ist ungewiss und oft widersprüchlich. Während inzwischen in Damaskus allerorten offen über Reformen diskutiert wird, gibt das Regime und dessen Geheimdienstapparat gelegentlich Warnschüsse ab, wie die jüngsten Verhaftungen von Oppositionellen zeigen. Selbst bei kritischen Stimmen innerhalb der eigenen Partei machten die Geheimdienste nicht Halt. So wurde Ibrahim al-Ali , ein hochrangiges Baath-Mitglied, zum Verhör gebeten, nachdem er es gewagt hatte, seine eigene Partei im Staatsfernsehen zu kritisieren.