piwik no script img

Wurstigkeit herrscht auch in der Cyber-Zukunft

Bei der Inszenierung von Yael Ronens und Dimitrij Schaads dystopischer Komödie „(R)Evolution“ gelingen Intendant Ulrich Mokrusch in Osnabrück seltene Momente von schräger Absurdität und tiefer Verzweiflung. Allzu seltene

Von Harff-Peter Schönherr

Freitag ist Nasentag, lockt Gen-Optimierer Dr. Frank. Aber das kinderwillige Paar, überfordert von seinen Angeboten, ist unentschlossen: René will zur Zeugung im dystopischen Stück „(R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad eigentlich lieber klassischen, „biokonservativen“ Sex. Lana aber besteht auf einem erbguttechnisch aufgepimpten Resultat. Sie will kein „Überraschungsei“.

Das Stück, bei der Hamburger Uraufführung vor drei Jahren freundlich aufgenommen, hatte nun in Osnabrück Premiere. Es pflanzt seine Figuren in eine nahe Zukunft, die in vielem nur die Gegenwart zuspitzt: René sehen wir später wieder, wie er Fastfood in sich hineinstopft, weil ihn sein sprechender Kühlschrank mit Gesundheitsvorschriften nervt. Auch Dr. Frank sehen wir wieder. Er versteht nicht, warum sein Freund Transhumanist ist, am liebsten nur noch aus Daten bestünde, unsterblich, ohne physische Grenzen. Das Computerwesen Alecto, ein allgegenwärtiger persönlicher Assistenz-Bot, der alles berechnet, vom Gemütszustand bis zum Essenswunsch, stresst Tatjana. Die Niederlande sind der Klimakrise zum Opfer gefallen, KI-Fortschritt entpersönlicht die Menschen, ein autoritäres Regime drangsaliert Abweichler.

Was „(R)Evolution“ versucht, so bitter wie bizarr, ist spannend: In wilder Übersteigerung sezieren Ronen und Schaad den Irrglauben, dass Tec-Moderne jedes unserer Probleme löst. Es geht um die Folgen der Digitalhörigkeit, die Grenzen der Normalität, den Wandel der Werte und der Welt, um ein Aufbegehren gegen die Cyber-Gesellschaft, das in Ohnmachtsgefühle mündet.

Verdienstvoll ist das. Aktueller geht es nicht. Und das Theater Osnabrück nimmt die Produktion sichtlich ernst: Ulrich Mokrusch inszeniert sie, der Intendant. Und im Programmheft kommt Rainer Mühlhoff zu Wort, an der Universität Osnabrück Professor für Ethik der KI. Er warnt vor „Doomsday-Befürchtungen“ und überzogenen Hoffnungen, vor Werkzeugen „zur Durchsetzung und Umsetzung von Profit- und Herrschaftsinteressen“ und einer KI, die zu Filterblasen führt, sozialer Ungleichheit.

Gute Ansätze also. Aber es gibt ein Problem: „(R)Evolution“ ist eine Komödie. Und Komödien zu schreiben, zu inszenieren und zu spielen, ist schwer. Eine Komödie verzeiht keine Fehler. Zeigt ihre Amüsanz zu selten Tiefgang, Chiffrehaftigkeit und Hintersinn, erschöpft sie sich zu oft in Klamauk, ödet sie an.

Das ist in Osnabrück der Fall. Mokruschs 90-Minüter, vorgeblich eine „Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert“, gelingen auch Momente schräger Absurdität, tiefer Verzweiflung und Verlorenheit. Aber zu selten.

Schon der Prolog missrät, so gut er auch gedacht ist: Aha, die Reaktionen des Publikums werden also angeblich über Sensoren aufgezeichnet, vom Herzschlag bis zur Körperspannung, sodass das Theater in Zukunft Stücke produzieren kann, die passgenau seinem Geschmack entsprechen? Mehr als ein bisschen Munterkeit entsteht daraus nicht. Das verheißungsvoll-drohende „Wir werden in Sie schauen!“ hat keinen Biss. Man lacht ein bisschen, und das war’s. Schwach ist das.

Mit dem Weizen, so heißt es im Stück, fing das Übel an. Zuvor zogen wir gechillt durch die Welt. Bisschen Arbeit, zwischendrin Sex, viel Freizeit. Dann kam der Ackerbau

Schwach ist auch der für die Handlung völlig unnötige Verweis auf Osnabrück als KI-Standort, von der Uni bis zum Coppenrath Innovation Centre, wo sich Wissenschaft, Industrie, Dienstleistung und Handwerk vernetzen. Soll das den Ortskundigen zeigen, dass sich die Science Fiction, die „(R)Evolution“ heraufbeschwört, längst in ihren Alltag eingeschlichen hat? Das ist Holzhammerpädagogik.

Keine Frage: Das alles ist gut gemeint. Es geht um die Macht der Algorithmen. Es geht um die fatale Bereitschaft des Menschen, sein Denken und Entscheiden auf Rechner outzusourcen, sich zum Sklaven seiner eigenen Entwicklung zu machen. Und dass sich Digital- und Analogwelt durchmischen, an Schauplätzen, in Figuren, hat Symbolkraft.

Aber nicht alles davon ist gut gemacht. Augenfälligstes Beispiel: Anfangs setzt Dr. Frank noch umständlich seine blinkende Datenbrille auf, bevor er zu Swipe-Bewegungen ansetzt, um seinen Kunden „die perfekten Augen für den Übermenschen“ zu präsentieren, wie René in Anspielung auf SS-Arzt Josef Mengele sagt, auf die Menschenversuche im KZ Auschwitz. Im Laufe der Zeit findet das Geswipe dann aber auch ohne Brille statt. Außerdem können Lana und René ohne Brille sehen, wofür Dr. Frank sein Geblinke braucht. Sinnhaft ist das nicht.

Irritierend, wie vage und unwichtig die Vorgeschichte der Handlung ist, irgendwas mit Cyberterror. Irritierend, dass Tatjana mit einer Kissenrolle spielen muss wie mit einem Phallus. Irritierend, wie funktionslos Trendbegriffe gedroppt werden, vom Veganismus bis zur Plastikverseuchung der Meere. Irritierend auch das ständige Hin- und Hergeschiebe der Leucht- und Projektionselemente auf der Bühne. Ob sie nun schräg oder gerade stehen, einen halben Meter weiter hinten oder vorne, macht keinen Unterschied. Auch die Fotos, Icons, Grafiken, Filme und Texte, die dekohaft auf sie gebeamt werden, machen keinen.

Gedankenweckend ist dagegen die Sache mit dem Weizen. Mit dem, sagt René, fing das Übel an. Vorher waren wir Jäger und Sammler, zogen gechillt durch die Welt. Bisschen Arbeit, zwischendrin Sex, viel Freizeit. Dann kam der Ackerbau, und mit ihm der Freiheits­verlust, das ewige Zurverfügungstehen, das Besitzdenken, der Ressourcenraubbau, der Krieg. Da ist was dran. Auch, dass auf der Bühne irgendwie jeder mal Alecto ist, hat beklemmend Sinn. Generell aber lässt „(R)Evolution“ kalt. Ob für die Osnabrücker Adaption KI die Finger im Spiel hatte? Es würde einiges erklären.

Nächste Aufführungen: 19., 27. 12., 19.30 Uhr sowie 31. 12., 16 und 20 Uhr, am 2., 7., 10., 11., 17., 18. und 24. 1., jeweils 19.30 Uhr, emma-Theater, Osnabrück

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen