: Generation 100
Wir werden immer älter. Wie geht es uns dabei? Das Projekt ±100 der Fotografin Magdalena Stengel zeigt hochbetagte Menschen in ihrem selbstbestimmten Alltag
Fotos von Magdalena Stengel
Älter werden ist furchtbar. Wir bekommen Hängebäckchen, Demenz und Osteoporose. Älter werden ist fantastisch. Wir erkennen, dass viele Probleme nur Problemchen sind, wir werden täglich schlauer und sind entspannt und glücklich. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen – aber wo eigentlich genau?
Fakt ist: Immer mehr Deutsche werden 100 Jahre und älter. Viele dieser Hochbetagten leben selbstständig in ihrem Zuhause. Und sind dabei trotz gesundheitlicher Herausforderungen lebensfroh, zuversichtlich und munter, wie eine Langzeitstudie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zur emotionalen Gesundheit 90- bis 100-Jähriger zeigt.
In der Öffentlichkeit ist das Leben sehr alter Menschen jedoch kaum sichtbar – wenn überhaupt, dann werden sie hauptsächlich als hilfs- und pflegebedürftig wahrgenommen. Die Fotografin Magdalena Stengel, Jahrgang 1987, wollte die Blickrichtung ändern und startete das Projekt ±100. Sie fragte sich: Wie sieht der Alltag hochbetagter Menschen aus? Was beschäftigt sie? Und welche Fähigkeiten erwirbt man vielleicht erst in einem so reifen Alter?
Seit 2019 reist Stengel durch Deutschland und besucht Menschen zwischen 90 und 100 Jahren in ihrem Zuhause. Die hier gezeigten Bilder stammen aus diesem ersten Jahr ihres Projekts. Da ist etwa Kurt aus Dortmund, der im Akkord Ableger von seinen Zimmerpflanzen züchtet, seit er kein Gemüse mehr anbauen kann. Käthe aus Fischerhude, die immer noch Auftragsarbeiten als Näherin annimmt. Oder WiPe aus Aalen, der steppt, als gäbe es kein Morgen.
Dass Betagte oft als gebrechlich wahrgenommen werden, treibt Stengel um. Schließlich besäßen gerade diese Menschen doch ein bemerkenswertes Maß an Belastbarkeit, Stärke und Willenskraft. Mit ihren Fotos versucht sie, die klischeebehafteten Gesellschaftsbilder zu brechen. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Spiel, Inszenierung und Beobachtung. Es sei ihr extrem wichtig gewesen, sagt sie, die Fotos gemeinsam mit ihren Models zu erarbeiten und deren Wünsche zu respektieren.
Viele ihrer Protagonist:innen habe sie durch Aufrufe in Zeitungen gefunden, erzählt die Fotografin. Im Rheinland hätten sich besonders viele Freiwillige gemeldet. Die meisten wollten dabei aber nicht groß im Mittelpunkt stehen, sondern begriffen sich als Teil eines Ganzen – als Teil der „Generation 100“.
Einige Mitwirkende sind mittlerweile verstorben. Das Projekt läuft weiter. Und erzählt auch künftig davon, wie selbstbestimmtes Altern klappen kann. Franziska Seyboldt
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