berliner szenen: Andächtig vor den Strümpfen
Ich lehne in der Strumpfabteilung im Kaufhaus über einem Grabbeltisch mit lauter Strümpfen und langweile mich etwas. W. braucht eine ganz besondere Strumpfhose für eine Motto-Party und hat genaueste Vorstellungen, die sich hier aber offenbar nicht erfüllen lassen. Weit und breit gibt es keine pink glitzernde Strumpfhose. W. aber sucht trotzdem weiter. Ich streiche um die Regale mit den bestrumpften Modellfüßen und beobachte Leute dabei, wie sie nach ihren Größen suchen oder Stoffe zwischen zwei Fingern befühlen. Ich sehe zu W. herüber, die vor einer Wand mit Strumpfhosen steht.
Neben ihr steht ein klassisch gekleideter Mann. Er ist vielleicht Mitte sechzig, trägt einen grauen Anzug mit einer Weste und braune, hochglänzende Lederschuhe. Er hat seinen Schal gelockert, trägt einen hellen Wollmantel über dem Arm und steht wie W. fast andächtig vor den vielen Strumpfhosen. Manchmal befühlt er die eine oder andere und ich überlege, was er sucht und für wen. Sein Blick ist begehrlich. Er fällt vielleicht auch einer Verkäuferin auf, denn sie läuft aus meiner Richtung zielgerichtet auf ihn zu und spricht ihn an:
„Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“
„Äh ja“, sagt der Mann und sieht sie verunsichert an. „Ich suche Kniestrümpfe.“ „Für Damen oder für Herren?“, erkundigt sie sich und rückt ihre Brille auf die Nase.
Der Mann zögert kurz und sagt: „Für mich.“ Er wird dabei rot im Gesicht. Ich bemerke es überrascht, gleichzeitig ist es mir unangenehm, als hätte ich etwas sehr Intimes beobachtet.
Die Verkäuferin lacht auf: „Na, dann kommen Sie mal mit. Sie stehen ja hier vor den Damenfeinstrumpfhosen.“ Sie kichert, dreht sich um und nimmt Kurs in die Herrenabteilung.
Der Mann folgt ihr mit rotem Kopf. Isobel Markus
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