: Schluss mit Zuversicht
Teheraner Tugend-Terror, gespiegelt mithilfe von Georg Büchners desillusioniertem Revolutionsstück: „Dantons Tod Reloaded“ am Hamburger Thalia-Theater
Von Jens Fischer
Wenn das Böse, Verlogene, Hässliche herrscht und alles mal wieder ganz und gar aussichtslos erscheint, schmeckt die Hoffnung nach Revolution. Nach radikalem Umsturz statt kompromisslerischen Eiertänzen. Und schon steht wieder „Dantons Tod“ von Georg Büchner auf dem Theaterspielplan – als Warnung wohin das führen kann. Das historische Lehrstück spielt 1794. Fast fünf Jahre nach dem Sturm auf die Bastille hat sich aus dem Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit-Rausch ein Tugendterror-Regime entwickelt mit dem Chef-Fanatiker Robespierre als autoritärem Inquisitor der reinen revolutionären Lehre.
Dessen Macht beruht darauf, Andersdenkende guillotinieren zu lassen. Was auch Pragmatiker Danton trifft, der fordert: „Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen.“ Büchners Werk ist ein illusionsloser Diskurs über das Scheitern des Fortschrittsoptimismus der Kämpfer:innen für eine gerechtere Welt. Was in jüngster Vergangenheit erneut der Arabische Frühling bewies.
Die Aufbruchsbewegung setzte in Libyen, Tunesien, Ägypten zwar die Regierung ab, bald aber entstanden neue Strukturen staatlicher Repression. Aus dieser Perspektive stürzten sich die Autor:innen Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani auf Büchners Stück. Als Überschreibung entstand „Dantons Tod reloaded“. Fokussiert werden politische Widerstandsrealitäten und der Umgang des Kulturbetriebs damit – unter besonderer Beachtung des im September 2022 aufbrausenden Aufstands der Frauen im Iran. Die Uraufführung des Hamburger Thalia Theaters kommt als Backstage-Drama einer internationalen Theatercompagnie daher.
Bei ihrem Gastspielauftritt in Paris können sie „Dantons Tod“ nicht spielen, weil das ganze Land von einem Generalstreik erfasst ist. Das miesepetrig bis aggressiv gestimmte Ensemble nutzt das erzwungene Nichtstun zu wohlbekannten Debatten über politische Korrektheit und packt private Probleme sowie persönliche Differenzen aus. Alle greifen dabei auf Worte, Rhetoriken, Überzeugungen ihrer Rollenfiguren zurück und verdeutlichen so deren Zeitgenossenschaft. Ein brillantes Ineinander von historischem und aktuellem Jargon entwickelt sich, beide beleben und reflektieren einander.
Einige Szenen des Stücks werden auch in der beanzugten Artikulation heutiger Politiker als Theater auf dem Theater gegeben. Stets rückt die Bedeutung der Frauen für die Revolution in den Mittelpunkt. Nicht extra betont Amir Reza Koohestani als Regisseur die fortgesetzte Brisanz des Stoffes im Iran. Ist doch offensichtlich, dass die dortigen Unruhen ebenfalls Folgen einer Revolution, der erzreaktionär erstarrten Islamischen Revolution sind, mit der sich die Bevölkerung zwar aus dem monarchistischen System des Schahs befreit, aber keine Freiheit gewonnen hat, sondern eine Fortsetzung der patriarchalen Gesellschaft und diktatorischen Herrschaft – nur eben jetzt im Namen des Islams.
Wenn vom Schrecken des Revolutionsrats in Paris die Rede geht, schwingt das Wissen um den heutigen ultrakonservativen Wächterrat in Teheran mit. Oder wenn Danton seinen Widersacher Robespierre rhetorisch fragt, ob er der „Polizeisoldat des Himmels“ sei, sind die tödlichen Exekutivinstrumente im Iran ebenso angesprochen. Dantons Sottisen könnten auch dort auf Plakaten prangen: „Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen.“
Die Bühne des Thalia Theaters an der Altonaer Gaußstraße ist leer bis auf sechs digitale Stelen. Als Spiegel, Videoscreens oder Lichtquellen immer wieder neu zu abstrakten Spielräumen arrangiert sorgen sie für schnieke modernes Aufführungsdesign. Anfangs triezen sich dort, Spielort Theatergarderobe, Danton (Stefan Stern), ein schnöselig lustiger Luftikus aus privilegiertem Hause, und Camille (Pauline Rénevier). Auf der Bühne ist sie Kampfgenosse Dantons, dahinter die Geliebte seines Darstellers, aber auch weiterhin liiert mit Lucile. Was Camilles Vater Robespierre nicht weiß. Den legt Oliver Mallison als verunsicherten Alkoholiker an, auf den die Tochter sauer ist, noch mehr aber auf Danton, da der seine Hand kürzlich auf einem Knie der jungen Regieassistentin platziert haben soll.
Sexueller Missbrauch – tobt es aus allen Ecken. Danton fängt an zu französeln, schon wird ihm Rassismus vorgeworfen. Weil er trotz des Gebots zur Solidarität mit den aufständischen Niedriglohnbeschäftigten das Gastspiel nicht absagen will, muss er sich als Streikbrecher beschimpfen lassen. Und wie mit der Ankündigung umgehen, dass ein Ensemblemitglied entlassen werden soll: Kürzen alle ihren Lohn, um das Team zusammenzuhalten, oder hofft jeder darauf, nicht betroffen zu sein?
Probleme, die auch sonst auf deutschen Bühnen aufploppen. Das Besondere an „Dantons Tod reloaded“ ist, wie selbstzufrieden banal das dazugehörige Geschnatter klingt, wenn sich die Darstellerin der Lucile in Videochats mit ihrer Schwester im Iran (gespielt von Stückautorin Mahin Sadri) unterhält über deren Social-Media-Clips, in denen es um das reaktionäre Frauenbild und den Terror gegen die Selbstermächtigung geht, sich kopftuchfrei in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Sie postet eine frisch abgeschnittene Haarsträhne – als symbolisches Bekenntnis zur „Frau Leben Freiheit“-Bewegung. Lucile hat deswegen Angst um das Leben der Schwester. Hat das iranische Regime doch schon Zehntausende Demonstrant:innen, Unterstützer:innen, Anwält:innen festgenommen, es gab Hunderte Tote und sieben Todesurteile. Umso wichtiger ist es gerade heute, ein Jahr nach dem Aufflammen der dann im Wortsinne niedergeschlagenen Proteste, an den fortgesetzt gärenden Hass auf die politische und klerikale Staatsführung zu erinnern.
Wie das mit dem Revolutionsdrama intensivierend gelingt und gleichzeitig die Wahrnehmungswelt des Westens herausfordern wird, ist ein erster Höhepunkt der Theatersaison im Norden.
Dantons Tod Reloaded. Nächste Aufführungen: 10. + 29. 10., jeweils 19 Uhr, Hamburg, Thalia Gaußstraße
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