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: Gareth Sellasoll in Kolumbien Vizeminister für Jugend werden

Foto: privat

Die schulterlangen Haare fallen ihm über eine Seite der Sonnenbrille. Auf dem linken Auge sieht Gareth Sella kaum noch. Er ist eins der prominentesten Gesichter des Kampfs gegen Polizeigewalt in Kolumbien. Jetzt wurde der 26-Jährige als Vizeminister für Jugend im neuen Gleichstellungsministerium nominiert.

Der 24. Februar 2021 veränderte sein Leben. Seit Monaten waren vor allem junge Menschen auf die Straße gegangen gegen die Regierung des rechten Präsidenten Iván Duque, gegen die Ungerechtigkeit. An dem Tag schoss die berüchtigte Aufstandsbekämpfungseinheit der Polizei Sella mit einem Gummigeschoss ins Auge. Zum zweiten Jahrestag veröffentlichte er ein Video mit dem Titel „Der Tod, der mich bewohnt“. Er steht darin an genau dem Ort, an dem ihn das Geschoss traf. „Wir Revolutionäre kommen in den Himmel“, sagt er. Und: „Die Polizei, der Staat und die Rechte haben mich getötet.“ Jetzt wird Gareth Sella Teil dieses Staats.

Präsident Gustavo Petro erfüllte mit Sellas Nominierung sein Versprechen, dass das Vizeministerium jemand von den Jungen leiten würde, der bei den Protesten ein Auge verlor. Die Jugend war entscheidend, um den ersten linken Präsidenten ins Amt zu bringen. Sella war Teil der „Blauen Schilder“, die in vorderster Reihe Protestierende vor Polizeigewalt schützen wollten. Friedlich, wie Sella betont.

Sella hat Film und Fernsehen studiert, bezeichnet sich als Künstler und politischer Aktivist, der die Menschenrechte verteidigt. Zuletzt filmte er für die Stadtverwaltung von Bogotá. Ein politisches Amt hatte er noch nie inne.

Wenige Tage nach den Schüssen hielt er eine vielbeachtete Rede im Kongress. Seitdem hat er nicht aufgehört, Polizeigewalt anzuprangern. Mindestens 103 Menschen erlitten 2021 Augenverletzungen durch Gummigeschosse, wurden als Ter­ro­ris­t*in­nen stigmatisiert. Nach Drohungen ging Sella zeitweise nach Mexiko ins Exil.

Über seine Pläne will Sella derzeit noch nicht öffentlich sprechen, sagte er der taz. Er soll sich um eine Bevölkerungsgruppe kümmern, die es schwer hat. Nach aktuellsten Daten der Statistikbehörde DANE haben 2,64 Millionen Kolumbianerïnnen im Alter von 15 bis 28 Jahren weder Arbeit noch Studium. Das ist fast jeder Fünfte in der Altersgruppe, fast zwei Drittel davon sind Frauen. Außerdem treffen bewaffnete Konflikte und die Gewalt des organisierten Verbrechens die Jungen hart. Das macht sie anfällig, ihr Glück bei bewaffneten Gruppen zu suchen.

Das Gleichstellungsministerium war ein Wahlversprechen von Petro. Wie Sellas Personalie ist das Ministerium hoch symbolisch. Es soll sich um Gleichstellung auf allen möglichen Gebieten kümmern: Jugend, Frauen (darunter Sexarbeiterinnen), LGBTIQ, Behinderte, Obdachlose, Afros, Indigene, Bauernfamilien, Arme. Kolumbien ist eins der ungleichsten Länder der Welt. Katharina Wojczenko, Bogotá