: Die Arbeit hinter dem Glück
Träume im Gesamtpaket: In dem Dokumentarfilm „Die Hochzeitsfabrik“ wirft die Filmemacherin Aysun Bademsoy einen ethnologischen Blick auf die Rituale der türkischen Hochzeitsfeiern
VON DANIEL BAX
Wer schon mal auf einer türkischen Hochzeit war, der kennt den Ablauf: Das Brautpaar fährt mit einem Autokorso zum Hochzeitssalon, wo schon die ersten Gäste warten. Dort verharrt es dann wie auf dem Präsentierteller auf seinem Platz, während an den Tischen das Büfett aufgefahren wird. Später bekommt das Paar meist auf traditionelle Art Geldgeschenke ans Revers geheftet und eröffnet zu den folkloristischen Schlagern der Hochzeitsband den Tanz. Es ist eine immergleiche Prozedur, die sich an jedem Wochenende zeitgleich an verschiedenen Orten der Stadt abspielt.
Eine echte Institution im Berliner Hochzeits-Business ist die Kreuzberger Firma „Foto Sahin“. Früher tanzten deren Fotografen auf fast jeder türkischen Hochzeit herum, um Polaroid-Schnappschüsse an die Hochzeitsgäste zu verkaufen. Inzwischen hat sich das Unternehmen zu einem regelrechten Mini-Imperium ausgewachsen, das ganze Hochzeiten mit allem Drum und Dran organisiert. Die Videoaufnahmen und Fotos, die zu einer richtigen türkischen Hochzeit gehören wie getrocknete Kichererbsen zum Knabbern und Plastikgeschirr, bilden nur noch einen Posten unter vielen im Komplettpaket. Je nach Bedarf kann man gegen einen entsprechenden Aufpreis das Standardangebot um Extras erweitern lassen, seine Hochzeit von mehreren Kameras filmen lassen, eine Bauchtänzerin oder gleich eine ganze Folkloregruppe buchen.
Mit ihrem Film „Die Hochzeitsfabrik“ hat die Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy einen Blick hinter die Kulissen des Unternehmens geworfen. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen nicht die beiden Brautpaare, die sie am „schönsten Tag ihres Lebens“ mit der Kamera begleitet hat. Sondern die Männer, für die das Alltag und Routine ist: Die Fotografen und Kameramänner des Fotostudios sowie das Catering-Personal, das die Gäste mit Nudelsalat, Hähnchen und gefüllten Weinblättern versorgt.
Die Firma Foto Sahin organisiert ihre Hochzeitsfeiern im Hochzeitssaal „Prestige“, einer umgebauten Halle auf einem ehemaligen Gewerbegebiet in Neukölln. Zwischen Kfz-Werkstätten und Lagerhallen finden hier an jedem Wochenende türkische Hochzeitsfeiern statt, die am Nachmittag beginnen und noch vor Mitternacht enden, zu einem Mindesttarif von 3.000 Euro. Mehrere hundert Personen finden Platz an den dekorierten Esstischen, die mit der immer gleichen Getränkekombination aus Fanta, Cola und Sprite bestückt werden. „Es gibt Leute, die jedes Wochenende auf eine Hochzeit gehen. Das ist für sie wie in die Disco gehen“, hat Aysun Bademsoy beobachtet. „Für das Brautpaar dagegen ist das schon eine Anstrengung, die sie da acht bis zehn Stunden lang über sich ergehen lassen. Ich persönlich würde nicht so heiraten wollen“, gesteht sie.
So wirft die Filmemacherin, selbst türkischer Herkunft, einen interessiert-ethnologischen Blick auf das Ritual. Sie befragt den Fotografen, der die Brautpaare vor kitschigen Kulissen in Szene setzt und am Computer Fantasiemotive einmontiert oder kleine Fehler retouchiert, zu seiner Arbeit am romantischen Ideal. Sie lässt sich von Sahin Öcal, dem eloquenten Chef des Unternehmens, in die Hochzeitskultur der Türken in Deutschland einweihen, die inzwischen ganz andere Formen als in der Türkei angenommen hat. Und sie verfolgt den Weg der Hochzeitspaare von den ersten Beratungsgesprächen bis zum fertigen Hochzeitsfilm auf DVD, der als Dokument des freudigen Ereignisses an Freunde und Verwandte insbesondere in die Türkei verschickt wird. Denn niemand heiratet nur für sich allein.
Die Scheidungsrate in der türkischen Community mag sich inzwischen dem deutschen Durchschnitt angenähert haben, doch die Institution der Ehe bleibt unerschütterlich. „Die Hochzeitsfabrik“ zeigt, wie die standardisierte Form des Hochzeitsfests offenbar allen Trends zur Individualisierung trotzt, die sich auch unter Migranten längst bemerkbar machen. Nur warum das so ist, darauf hat der Film leider keine Antwort.
„Die Hochzeitsfabrik“. Regie: Aysun Bademsoy. D 2005, 65 Min. Im fskam Oranienplatz, Segitzdamm 2, Kreuzberg