: Ein Knopf, der nicht jede Lücke schließt
Der Grüne Knopf soll Mensch und Umwelt entlang der Lieferkette schützen – von der Faser bis zum Bügel.Nach vier Jahren werden nun die Kriterien noch einmal erweitert. Kritiker bemängeln, dass noch nicht die komplette Lieferkette abgedeckt wird
Von Julia Johannsen
Die Seele des Menschen sitzt in seinen Kleidern, sagte Shakespeare. Für den modernen Menschen sitzt sie auch in dem Siegel, das sein Kleidungsstück trägt. Der Grüne Knopf präsentiert sich als vertrauenswürdiges Siegel – sozial, ökologisch, staatlich und unabhängig zertifiziert.
Zum vierjährigen Jubiläum verkündete der Grüne Knopf, dass 47 Prozent der Menschen in Deutschland das Siegel kennen. Seit seiner Einführung im Jahr 2019 seien bereits über 300 Millionen mit ihm gekennzeichnete Produkte verkauft worden.
„Hinter dem Grünen Knopf steht der Staat, das schafft Vertrauen“, sagte zum Jubiläum Florian Tiedtke, einer der Leiter der Geschäftsstelle Grüner Knopf. „Zwei von drei Menschen, die den Grünen Knopf kennen, haben bereits bewusst ein Produkt mit dem staatlichen Siegel in den Einkaufskorb gelegt. Der Grüne Knopf wird also tatsächlich zur Orientierung beim Einkauf genutzt.“
Im Laden konkurriert der Grüne Knopf mit einer Reihe anderer Siegel. „Wir haben rund 50 Brands, doch nur eines davon trägt den Grünen Knopf“, sagt Ben Irion vom supermaché, einem Laden für ökofaire Mode in Kreuzberg. „Wenn große Discounter, die nicht gerade für besondere Sorgfalt in ihren Lieferketten oder guten Umgang mit Lieferant*innen bekannt sind, problemlos zertifiziert werden, dann macht mich das skeptisch“. Seine Favoriten: „Ich empfehle die Siegel GOTS und Fair Wear Foundation.“
Rund 80 Unternehmen sind beim Grünen Knopf dabei, doch oft tragen ihn nur einzelne Produkte des Sortiments. Anders ist das bei ETERNA, das großen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Die schönen Hemden und Blusen sind alle mit dem Grünen Knopf ausgezeichnet und trugen schon im Jahr 2000 das Siegel OEKO TEX® Standard 100+.
Der Grüne Knopf hat im vergangenen Jahr noch einmal eine Erweiterung seiner Kriterien angekündigt. Spätestens wenn Ende Juli 2024 die letzte Übergangsfrist endet, müssen auch bereits lizenzierte Unternehmen unternehmerische Sorgfaltsprozesse bezüglich der Anforderungen nach dem Grünen Knopf 2.0 absolviert haben. Dazu zählt zum Beispiel, dass sie sich selbst verpflichten müssen, existenzsichernde Löhne zu fördern.
Das ist ein Fortschritt, aber es gibt auch Kritik. Dietrich Weinbrenner, Beauftragter für nachhaltige Textilien der Vereinten Evangelischen Mission und Mitarbeiter der Kampagne für Saubere Kleidung, geht das Siegel nicht weit genug. Er weist darauf hin, dass Webereien und Spinnereien nicht erfasst sind, obwohl es auch dort gravierende Missstände gibt.
Der Grüne Knopf zeigt das selbst auf seiner Website: Der Schritt „Garn- und Stoffherstellung“ ist in der Darstellung der Anforderungen, die der Grüne Knopf entlang der Lieferkette an die Produktion der Siegel-Betriebe stellt, explizit ausgenommen. In der Selbstdarstellung des Grünen Knopfes werde jedoch immer wieder die gesamte Lieferkette erwähnt, so Dietrich Weinbrenner. „Dies ist eine Irreführung der Verbraucher*innen und unredlich, weil es unwahr ist“.
Weinbrenner sieht im Grünen Knopf die Gefahr eines staatlich legitimierten Greenwashing. Problematisch ist dies etwa, da für die Arbeit auf den Baumwollfeldern keine Sozialstandards festgeschrieben sind. Das bedeutet, dass ein Verbot von Kinderarbeit an dieser Stelle fehlt.
Ein weiteres Problem des Siegels liegt in der Kontrolle. Die Siegelgeber, die für die Kontrolle im Namen des staatlichen Siegels zuständig sind, arbeiteten mit einer „Industrie von Sozialaudits“ zusammen. Die Kontrollen der Audits vor Ort werden in der Regel vorher angekündigt, so dass bei einem Fabrikbesuch immer nur ein Teil der Realität erfasst werden kann. Dabei werden viele Probleme übersehen, etwa erzwungene Überstunden, fehlende Organisationsfreiheit oder frauenspezifische Gewalt. Eine Kritik, die nicht allein den Grünen Knopf trifft.
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht zu substanziellen Verbesserungen geführt haben. „Nur gesetzliche Regelungen sind zielführend“, meint Dietrich Weinbrenner. Seit Anfang des Jahres gilt in Deutschland ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Achtung von Menschen- und Arbeitsrechten durch die Umsetzung definierter Sorgfaltspflichten verpflichtet.
Die Hoffnungen der Kritiker liegen auf einem neuen Lieferkettengesetz, das grade auf EU-Ebene verhandelt wird (siehe Seite 33). Es wird voraussichtlich strenger als das gegenwärtig in Deutschland gültige. Wird es in der sich abzeichnenden Form beschlossen, müsste die Bundesregierung das deutsche Recht anpassen, zum besseren Schutz der Menschen und der Umwelt.
Doch Lieferkettengesetz hin oder her: Die Verbraucher*innen würden ein staatliches Siegel schätzen, dass die gesamte Lieferkette abdeckt. Eines, das ehrlich und transparent kommuniziert und konsequent existenzsichernde Löhne einfordert.
www.siegelklarheit.de
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