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Dreimal mit Stimme

Das Musikfest Berlin ist als Orchesterfestival etabliert. Gesungen wurde dieses Jahr dort aber auch viel

Der Rias Kammerchor am Sonntag in der Philharmonie Foto: Fabian Schellhorn

Von Tim Caspar Boehme

Zum Abschluss hatte die Umwelt das Sagen: Das letzte Konzert dieser Ausgabe des Musikfests Berlin mit dem improvisierenden Stegreif Orchester bot „Klänge der Nachhaltigkeit“. Beim Musikfest gab es dieses Jahr jedoch auch zu erleben, welchen Preis umweltbewusstes Reiseverhalten haben kann. Die Münchner Philharmoniker und der Philharmonische Chor München, die unter Leitung der Dirigentin Mirga Gražinyte-Tyla die Symphonie Nr. 2 von Gustav Mahler aufführen sollten, kamen mit einer Viertelstunde Verspätung auf die Bühne der Philharmonie. Sie waren mit der Bahn angereist und saßen stundenlang im Zug fest, wie der künstlerische Leiter des Musikfests, Winrich Hopp, dem Publikum vor Konzertbeginn mitteilte.

Dem anschließenden Auferstehungsdrama in Spielfilmlänge konnte die Verzögerung jedoch nichts anhaben. Mahler beginnt mit seiner zweiten Symphonie die traditionelle viersätzige Form zu erweitern. Das fünfsätzige Werk nimmt in der zweiten Hälfte mit Vertonungen aus der Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ Solo- und Chorgesang hinzu. Gražinyte-Tyla unterstrich dabei Mahlers Neigung zu Kontrasten, ließ die Dynamik von sehr leise bis zu dröhnend laut alle Pegelstufen durchlaufen. Zum Teil bekam man Angst, auf seinem Sitz von Schallwellen weggepustet zu werden, die Chorsänger, die hinter dem Orchester saßen, hielten sich zum Teil die Ohren zu. Das gehörte aber alles durchaus dazu bei dieser elektrisierenden Klage über die Endlichkeit des Lebens.

Ganz im Zeichen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart stand das zweite Musikfest-Konzertprogramm der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko. Das Musikfest beteiligte sich so zugleich am Festival „Monat der zeitgenössischen Musik“, das im September die Vielfalt der „neuen“ Musik Berlins präsentiert. Für ein Orchesterkonzert des Musikfests war die Auswahl dennoch erstaunlich. Mit Iannis Xenakis gab es nach den umfangreichen Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Komponisten im vergangenen Jahr jetzt noch einmal Gelegenheit, sich von den elementaren Qualitäten seiner Musik zu überzeugen. Die konstruierte Naturgewalt seines Orchesterstücks „Jonchaies“ von 1977 überkommt einen mit Streicherkaskaden aus nichtabendländischen Tonleitern. Dazu fordert die avancierte Primitivität des umfangreichen Schlagzeugs die volle Aufmerksamkeit. Man könnte ihn noch viel, viel öfter aufführen.

Eine Wucht der stilleren Art entfaltet das Orchesterstück „Stele“ von György Kurtág, einer von zwei lebenden ungarischen Komponisten im Programm, mit 97 Jahren der deutlich ältere. Der mitunter gern verspielte Kurtág wählt in dieser Erinnerungsmusik einen statuarisch ruhigen Gestus. Am Anfang ein gehaltenes Unisono, das sich bald aufzulösen beginnt, über weite Strecken träge rhythmisierte Klangwolken, die traurig insistierend ihren Platz behaupten. Am Ende fällt alles mit einem Seufzer in sich zusammen, von den Berliner Philharmonikern grandios konzentriert dargeboten. Dagegen arbeitet das andere Stück aus Ungarn, „Lég szín-tér“ des 1975 geborenen Márton Illés, mit einer schillernden Klangfarbigkeit zwischen Ton und Geräusch, das Orchester scheint in ständiger innerer Bewegung. Zum Teil hauchen die Streicher lediglich mit ihren Bögen über die Saiten, die Bläser stehen ihnen mit tonlosem Zischen in nichts nach.

Dass man sogar mit klassischer Musik im engen Sinn überraschen kann, zeigte der Rias Kammerchor

Die deutlichste politische Aussage hatte bei Petrenko die unvollendete „Gesangsszene“ von Karl Amadeus Hartmann, kurz vor dessen Tod im Jahr 1963 entstanden. Hartmann hatte die NS-Zeit in innerer Emigration verbracht und wollte das atomare Wettrüsten nach dem Zweiten Weltkrieg musikalisch anprangern. Als Textgrundlage diente ihm das Theaterstück „Sodom und Gomorrha“ des französischen Schriftstellers Jean Giraudoux. Die gesungene Prosa trug der Bariton Christian Gehrhaher mit nie übertriebenem Ausdruck vor, selbst da, wo er schrie. Allerdings nahm der trotz seines Pandemie-Bezugs veraltet anmutende Text dem expressiv wütenden Sog des Orchesters etwas von seiner Wirkung.

Dass man sogar mit klassischer Musik im engen Sinn überraschen kann, zeigte dann am Sonntag der Rias Kammerchor unter Leitung seines Chefdirigenten Justin Doyle zusammen mit dem Freiburger Barockorchester. Zwei Brüder waren zu hören, von sehr ungleicher Bekanntheit. Der eine, Joseph Haydn, gehört zum Inbegriff der Wiener Klassik. Der andere, Michael Haydn, heute eher Experten vertraut, war zu Lebzeiten ein erfolgreicher Komponist insbesondere geistlicher Musik. Zum Kennenlernen gab es zwei Teile aus dessen „Missa Hispanica“, elegant gesammeltes Gotteslob, fast ein wenig barock im Gestus. Federnder und dramatischer die sakralen Werke Joseph Haydns, der mit der „Paukenmesse“ und zwei kürzeren Werken vertreten war. Besonders dicht seine Motette „Insanae et vanae curae“. Alles nicht unbedingt Standardrepertoire in der Philharmonie. Spricht sehr für das Musikfest als vielstimmige und offene Feier des Ensembleklangs.

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