: Zwischen Leben und Tod: Ein Jahr Revolution in Iran
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Von Lisa Schneider
Was ist das Leben einer Frau wert? Manchen nur so viel wie der Stoff, der ihren Körper, ihre Haare bedeckt. Was ist einer Frau ihr Leben wert? Manchen so viel wie ihre Freiheit.
Nachdem die junge Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 in der Hauptstadt Teheran starb, weil sie ihr Zwangskopftuch zu locker trug, zeigten beide Seiten – die mutigen Frauen des Irans und die Herrscher der Islamischen Republik – einmal mehr, wozu sie fähig sind. Das Regime: schlagen, vergewaltigen, töten. Die Frauen: trotzdem gegen die Diktatur auf die Straßen gehen, nein, auf den Straßen tanzen, mit offenem Haar und erhobenem Mittelfinger.
Auch ich fühlte mich – als Redakteurin weit weg in Berlin – mitgerissen von ihrer Hoffnung. Ist es diesmal zum Greifen nahe, das Ende des Regimes?
In den ersten Wochen der Revolution in Iran berichtet die taz beinahe täglich: Wie viele Menschen wurden verhaftet? Was sagen Iranerinnen und Iraner, die an den Protesten beteiligt sind? Wie schätzen Expertinnen die Lage ein?
Aus dem Jahr 2022 wird das Jahr 2023 und im Laufe der Monate wird spürbar: Langsam ist die Luft raus. Aus dem Interesse vieler im Westen, aus der Berichterstattung, aber auch aus der Protestbewegung selbst.
In einem Interview über die Chancen der Frauenrevolution, das im Februar in der taz erschien, erklärte der Revolutionsexperte Srđa Popović: „Selbst wenn das Regime diese Schlacht gewinnt, bin ich mir sicher: Es wird den Krieg verlieren.“ Ein eindrücklicher Satz, der eine brutale Realität zeigt: Schlacht, Krieg – wie viele Menschen werden noch ihr Leben opfern müssen, wenn dieses Regime besiegt werden soll?
Die Bilanz des vergangenen Jahres klingt bei vielen Iranerinnen und Iranern so: Wut auf das Regime, Enttäuschung über die mangelnden Konsequenzen, die deren brutales Vorgehen nach sich zog – oder eben nicht.
In einem Gedicht schrieb die iranische Poetin Forugh Farrochsad, lange bevor aus dem Land die Islamische Republik wurde:
Warum sollte ich innehalten?
Ich halte fest an meiner Brust
die unreifen Ähren des Weizens
und stille sie.
Solange der Geist der Revolution noch in den Köpfen der Menschen – in Iran und außerhalb – existiert, solange er noch von einer zur anderen überspringen kann, wird sie immer wieder ausbrechen. So lange gibt es Hoffnung – ein Gefühl, das trägt.
In dieser Sonderbeilage der taz Panter Stiftung geht es nicht um journalistische Akkuratheit, sondern um Emotionen. Wie hat sich das vergangene Jahr für unsere Autorinnen angefühlt? Was kommt ihnen in den Sinn, wenn sie innehalten, darüber nachdenken? Was bleibt von einem Jahr Revolution?
Sie haben diese Fragen für sich beantwortet: in einem Essay, einem Gedicht, einer literarischen Kurzgeschichte.
Wir lesen sie, in der Hoffnung, dass in der Beilage zum 16. September 2024 stehen wird: „Wie wir das Regime endlich besiegten.“
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