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Ein langer Weg in kleinen Schritten

Mitten in der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung können viele Menschen noch immer nicht ausreichend lesen und schreiben. Warum das so ist und was in Deutschland und weltweit Abhilfe schaffen soll

Von Cordula Rode

Heute ist Weltalphabetisierungstag. Ein Nischenthema? Von wegen: Laut statistischem Bundesamt konnten im Jahr 2020 weltweit 13 Prozent der Bevölkerung gar nicht oder nicht ausreichend lesen und schreiben. War früher von „funktionalen Analphabeten“ die Rede, so spricht man heute von „gering literalisierten Menschen“, um das ohnehin große Stigma, das mit dieser Problematik einhergeht, zu verringern.

In der Rangfolge der Alphabetisierungsquote nehmen Länder wie Somalia, Afghanistan und Senegal die unteren Plätze ein, während die westlichen Industrieländer mit einer Alphabetisierungsquote von über 99 Prozent am besten dastehen. Dennoch sind auch hier die konkreten Zahlen der gering literalisierten Erwachsenen erschreckend hoch. Die LEO-Studie der Universität Hamburg, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegeben hat, kam 2018 zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland 6,2 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter gibt, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können.

Im Jahr 2015 rief das BMBF die Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung (AlphaDekade) ins Leben, die von 2016 bis 2026 läuft und insbesondere Projekte, die Beschäftigte mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsbedarf am Arbeitsplatz unterstützen, fördert. Eine der Partnerorganisationen ist der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, der bereits seit über 40 Jahren als einzige bundesweite Fach-, Service- und Lobbyeinrichtung zu dem Thema in Deutschland tätig ist.

„Die Gründe, warum erwachsene Menschen gering literalisiert sind, sind meist sehr komplex“, erklärt Nicole Pöppel, Geschäftsführerin des Verbandes. „Da spielen Faktoren wie die Qualität des schulischen Angebotes und die familiäre Situation eine große Rolle.“ Das Herzstück des Verbandes ist seit vielen Jahren das ALFA-Telefon, eine niedrigschwellige Beratungshotline, an die sich nicht nur die Betroffenen wenden können, sondern auch Personen aus ihrem beruflichen oder medizinischen Umfeld. Mit dem Zugriff auf eine ständig aktualisierte bundesweite Datenbank können so schnell und unkompliziert passende Bildungsangebote vermittelt werden. Das sind unter anderem Grundbildungsangebote von VHS, Verbänden, Vereinen, Mehrgenerationenhäusern und kirchlichen Trägern.

„Als wichtige Neuerung können nun Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben, selbst Angebote in ihrer Nähe suchen und direkt in Kontakt treten“, erläutert Pöppel. Dabei werden die Suchenden so barrierearm wie möglich durch die Angebote der Datenbank geführt, um das für sie passende Angebot zu finden. Während früher der Schwerpunkt auf der klassischen Kursstruktur lag, gibt es heute sehr viel mehr offene Lernangebote wie Lesecafés und Ähnliches. „Ein wichtiger Schwerpunkt sind auch berufsbegleitende Angebote, bei denen der jeweilige Anbieter direkt in die Betriebe geht, um die dortigen Beschäftigten zu fördern“, erklärt die Geschäftsführerin. Die allgemeine Entwicklung sieht sie positiv, wobei es nicht immer leicht sei, konkrete Zahlen zu vergleichen. Die erste LEO-Studie 2011 hatte 7,5 Millionen Menschen mit geringer Literalität ermittelt. Allerdings erfassen diese Studien immer nur Personen zwischen 18 und 64 Jahren: „Die vielen inzwischen älteren Menschen, die 2011 erfasst wurden, fallen deshalb aus der Zählung raus.“ Die Studie zeige aber deutlich, dass jüngere Generationen, die nachkommen, durch inzwischen längere und bessere Beschulung weniger Probleme haben.

Ein solch umfangreiches und strukturiertes Angebot wie in Deutschland ist für ärmere Länder völlig utopisch. Der Unesco-Weltbildungsbericht von 2021 zeigt auf, dass Alphabetisierung konkret mit dem Reichtum eines Landes zusammenhängt. Beispiel Südsudan: Er gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind dort mehr als 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nicht alphabetisiert. Und in meisten anderen Entwicklungsländern sieht es nicht viel besser aus. Besonders hoch ist dort die Quote der Frauen – in wirtschaftlich schwachen Ländern werden bevorzugt die Söhne in die Schule geschickt, während die Mädchen auf die Mutterrolle und den Haushalt vorbereitet werden.

In den letzten Jahren ist das Bewusstsein gewachsen, dass die westliche Welt sich hier ihrer Verantwortung stellen muss. Die Armut vieler Länder ist zurückzuführen auf die jahrzehntelange Ausbeutung durch die Industriestaaten. Zahlreiche Projekte, auch in Deutschland, haben es sich zum Ziel gesetzt, das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen und konkrete Hilfen zu bieten. Die weltweite Organisation Fairtrade, die seit vielen Jahren den Fairen Handel weltweit vorantreibt, setzt sich für ein bedingungsloses Recht auf Schulbildung ein und organisiert Weiterbildungen unter anderem im Bereich der Alphabetisierung. Darüber hinaus ermöglichen die fairen Löhne den Pro­du­zen­t:in­nen in den armen Ländern, vor Ort das Bildungssystem auszubauen und zu unterhalten. Auch zahlreiche NGOs helfen konkret vor Ort. So hat Le Soleil dans la Main vor einigen Jahren vier neue Alphabetisierungszentren in Boulkiemdé in Burkina Faso gebaut. Kleine Schritte auf einem langen Weg.

ALFA-Telefon: 08 00 53 33 44 55

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