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„Wenn man da ist, dann ganz“

Carsten Klook hat seine Autobiografie geschrieben, genauer: deren ersten Teil. In „Sterben kann ich, wenn ich tot bin“ sucht ein schlaksiger Junge sein Heil in Musik, Drogen und Texten. Gespräch mit einem Autor, der im Abseits einen sicheren Ort gefunden hat

Interview Frauke Hamann

taz: Herr Klook, Ihre Geburt hat 38 Stunden gedauert. Warum beginnt Ihre Autobiografie mit dem starken Wunsch, im Mutterleib zu bleiben?

Carsten Klook: Von meiner Mutter weiß ich, wie sehr damals die Vermieterin meiner Eltern in der Averhoffstraße gegen Kinder im Haus war und meiner Mutter tatsächlich den Bauch befühlte. Wir hatten auch nur ein paar Apfelsinenkisten und eine Matratze, lebten in einem Zimmer. Ich habe versucht, mich in den Embryo hineinzuversetzen, der ich war, und der gespürt hat: Ich war in der Wohnung nicht erwünscht.

Mein Hang zum Abstrahieren wurde mir schon als Dreijähriger zum Verhängnis“, heißt es im Buch. Wie kam es zum Entschluss, eine Biografie zu schreiben?

Als der erste Coronafall in Deutschland auftrat, Anfang 2020, war mir klar, dass die Krankheit das Land im Griff haben würde. Wenn ich also etwas schreibe, dann jetzt.

Sie gehen Jahr für Jahr vor. Band I endet 1999, mit Ihrem 40. Lebensjahr. Warum diese chronologische Genauigkeit?

Das Buch ist aus dem Willen heraus entstanden, eine Chronologie durchzuhalten. Wobei ich sagen muss: Ich wollte eigentlich nie eine Autobiografie schreiben. Mein letzter Therapeut hat mich dazu ermuntert, weil er meine Beobachtungen der Hamburger Musikszene interessant fand. Mir war klar, dass ich dafür keinen Verlag finden würde, dazu bin ich zu unbekannt. Ich hatte keine Illusionen. Aber ich habe immer versucht, meine Ideen zu verwirklichen in der Sprache, die mir kommt.

Wie konnten Sie sich an diese Fülle von Einzelheiten erinnern – an all die Platten, die sie gehört haben; die Bands, die Sie erlebt haben; die Musiker, die Sie interviewt haben; all die Artikel, die sie geschrieben haben?

Es floss geradezu! Ich könnte gar nicht so schnell schreiben, habe das einfach alles rausgehauen. Durch meine Therapien war mir das eigene Leben unglaublich präsent. Das Komische ist, dass ich schon als Kind eine Manie hatte, dass ich mir alles merken wollte, um es ihnen „heimzuzahlen“.

Hängt das mit der Jugend in Billstedt zusammen, eine Art Billstedt-Blues?

Es gab missbräuchliches Verhalten seitens der Eltern und auf der Straße bin ich gelegentlich verprügelt worden. Aber mich haben vor allem die ganzen Ungerechtigkeiten innerhalb von Gruppen aufgeregt, ob auf dem Spielplatz oder in der Schule. Man lernt eben schon als Kind, wie bösartig Menschen sind. Der Satz „Du sollst nicht merken“ von Alice Miller war für mich wichtig, das Nicht-Verzeihen-Müssen. Die Heilsamkeit des Verzeihens funktioniert einfach nicht! Ich habe es jahrelang versucht. Eigentlich hat es mich in meiner Energie nur geschwächt.

Wenn man in Billstedt aufgewachsen ist und zeitlebens eine schwierige Beziehung zu den Eltern hatte, die Schwierigkeiten mit Mädchen – ist man beim Abfassen seiner Autobiografie überhaupt ehrlich?

Ich habe das schon in meinem Roman „Korrektor“ erlebt. Er spielt zwar im Ghetto, ist aber nur zu einem Teil Ghetto und zum anderen Teil Hochkultur. Mein Vater hat mir Kultur nahegebracht, ich habe schon früh Arno Schmidt gelesen. Wenn ich aber auf die Straße ging, waren da Leute, die mir die Fresse polieren wollten. Diese Spannung auszuhalten, lernt man erst im Laufe der Jahre.

Sie schreiben von der „Schönheit der völligen Passivität“. Wollten Sie immer dabei sein, aber nicht mitmachen?

„Whenever you find yourself on the side of the majority, it is time to pause and reflect“, schrieb schon Mark Twain. Ich habe früh damit angefangen, in scheinbar hermetischen Gruppen eine Gegenposition einzunehmen, um der Diktatur der Gleichgesinnten zu entkommen. Mit meinen Eltern konnte ich gar nicht reden.

Das Schreiben, so heißt es in Ihrer Autobiografie, „war ein Auftrag, den ich mir selbst gegeben hatte“. Sie konnten offenbar die Sprachlosigkeit und das Unverständnis des Elternhauses in einen Sprachfluss umwandeln.

Carsten Klook46, aufgewachsen in Hamburg-Billstedt als Sohn eines Korrektors verfasste er früh selbst Texte, zunächst Lyrik. Seit 1983 arbeitet er als Kulturjournalist, auch für die taz. Seit 1988 schreibt er autofiktionale Romane, Erzählungen, Prosa­miniaturen und Hörspiele.

Aber das hat leider nicht dazu geführt, dass meine Eltern mich nur einen Millimeter besser verstehen. Und das ist deprimierend.

Gibt es Unsagbares im eigenen Leben, Sachen, vor denen man zurückschreckt, es aufzuschreiben?

Durch meine Multiple-Sklerose-Erkrankung mache ich Körpererfahrungen, die ich von mir aus nicht unbedingt beschreiben würde. Aber wenn einen Verlag das interessierte, vielleicht. Das ist ohnehin das Problem: Je eigener man wird, wenn man unbekannt bleibt, desto schwieriger wird es, das zu veröffentlichen.

Ihre Autobiografie mutet der Leserschaft einiges zu, ein Zickzack aus Erlebnissen, Bekanntschaften, Empfindungen, Krankheiten, gleichsam ein persönliches Panorama des Hamburger Kulturbetriebs.

Wenn man 13 Therapien gemacht hat, spielt das keine Rolle. Wenn man da ist, dann ganz. Oder man nimmt sich so zurück, dass man gar nicht da ist. Ich habe mich fürs Erste entschieden, und wahrscheinlich macht einen das zu einem sehr anstrengenden Zeitgenossen. Das ist ohnehin total narzisstisch, die eigene Autobiografie auf zwei Bände anzulegen. Mein erster Roman „Korrektor“ wurde erst nach 11 Jahren veröffentlicht. Anscheinend ist das sprachlich zu heavy gewesen. Deshalb veröffentliche ich experimentelle Literatur nur noch in kleineren Formaten.

„Hamburg ist furchtbar in seiner kaufmännischen Geisteshaltung. Das überträgt sich auf die Autoren. Die sind alle super vorsichtig. Ich könnte kotzen“

Sie kennen den Literaturbetrieb dieser Stadt doch genau und wissen, wie er funktioniert!

Sicher, aber ich habe mich mit den Leuten auch angelegt. Diese Stadt ist furchtbar in ihrer kaufmännischen Geisteshaltung. Das überträgt sich auf die Autoren. Die sind alle super vorsichtig. Ich könnte kotzen. Die haben Angst, etwas zu verlieren.

Beschimpfen Sie jetzt gerade die, die Sie gewinnen wollen?

Das liegt an meiner provokanten Art. Ich musste mich nie verstellen bei dem, was ich mache. Ich bin ein unsystematischer Kritiker aller Systeme.

Carsten Klook: „Sterben kann ich, wenn ich tot bin. Fern der Literaturszenen und Hamburger Schule_n. Autobiografie (I)“. 648 Seiten, Books on Demand 2023, Paperback 25,99 Euro, Hard­cover 37,99 Euro

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