: Im Schutz des Datenkraken
KONTROLLE Hamburgs Jugendämter erhalten im Mai eine neue Software, die Kinder besser schützen soll. Sozialarbeiter fordern Datenschutz und kritisieren bürokratische Zwänge
Für das Software-Projekt Jus IT, hat die Sozialbehörde bis 2015 112 Millionen Euro eingeplant.
■ Software-Experte Karl Schmitz warnte bei einer Anhörung im Januar 2011, die Gesamtkosten könnten sich um mehr als Faktor zwei erhöhen. Die SPD – noch in der Opposition – sprach von einer „zweiten Elbphilharmonie“.
■ In Auftrag gegeben wurde Jus IT schon 2005. Seither sich die Einführung stetig verzögert.
■ Wegen Umsetzungsproblemen entscheid der Senat, in 2012 nur das Modul für die Jugendhilfe einzuführen. Bis Herbst wird entschieden, wann die Module für Sozialhilfe und Wohngeld folgen.
VON KAIJA KUTTER
Am 21. Mai werden in Hamburgs Jugendämtern die Computer umgestellt. Statt der alten „Projuga-Software“ aus den 90ern Jahren regelt dann das für viele Millionen Euro entwickelte „Jus IT“-Programm die Jugendhilfe. Doch während SPD-Sozialsenator Detlef Scheele und sein Jugendamtschef Uwe Riez sich effizienteren Kinderschutz erhoffen, üben Sozialarbeiter Kritik.
„Wir lehnen die Einführung des Programms grundsätzlich ab“, heißt es in einer Resolution, die rund 40 Sozialarbeiter beim „Ratschlag“ der Offenen Kinder- und Jugendarbeit verabschiedet haben. Da die politische Debatte die Einwände jedoch längst „überrollt“ habe, fordere man wenigstens ein „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ für die Klienten. Alle mit Jus IT arbeitenden Sozialarbeiter müssten Formblätter erhalten, die über das Programm aufklären und auch den Widerspruch zur Datenerfassung ermöglichen.
„Die Menschen müssen wissen, was die neue Software alles kann“, sagt Sozialarbeiter und Ver.di-Mitglied Peter Meyer, der die Bedenken des Ratschlags an Senat und Datenschutzbeauftragte herantragen soll. Projuga sei nur im Jugendamt gelaufen, Jus IT dagegen solle über Schnittstellen mit Polizei und Behörden verknüpft werden.
Einen weiteren Haken sehen die Sozialarbeiter darin, dass das neue Programm dem Jugendamt Anbieter von Erziehungshilfen aufliste und dabei möglichst den günstigsten vorschlage. „Es muss aber die angemessene, nicht die billigste Hilfe gewährt werden“, sagt die Linken-Abgeordnete Mehmet Yildiz, die die Resolution unterstützt.
Die Sozialarbeiter stört generell die starre Standardisierung bei der Hilfeplanung, die sich „kontraproduktiv“ auswirken könne. „Das Programm ist sehr verzweigt, wenig anwenderfreundlich und praxisfern“, sagt der Jugendamtsmitarbeiter Andreas Schneider*, der bereits an Jus IT geschult wurde.
Jugendamts-Chef Riez wirbt damit, dass das Handeln der Ämter vereinheitlicht werde. Die neue Software solle Sachbearbeitern helfen, den Fall zu reflektieren und die richtigen Fragen zu stellen. Doch nach Schneiders Einschätzung wurde hier übertrieben. „Es geht nach dem Grundsatz, lieber zu viel fragen als zu wenig.“ So schreibe ein Vordruck vor, dass jeder Bericht über ein Hilfeplangespräch sieben Seiten haben müsse. „Diese Papierflut erschlägt die Betroffenen.“
Das Programm funktioniere wie eine online eingegeben Steuererklärung und könne erst beendet werden, wenn alle Fragen beantwortet sind, sagt Schneider. Es müssten sehr kleinteilig Punkte abgehakt werden, auch wenn sie gar nicht relevant seien. „Wozu soll ich den Kühlschrank kontrollieren, wenn ein Kind nicht den von der Mutter getrennten Vater besuchen will?“, fragt der Jugendamtsmitarbeiter. Die Verwaltungsarbeit werde durch Jus IT verdoppelt: „Wir werden gefangen von der PC-Arbeit und kommen hier gar nicht mehr raus.“
Senator Scheele preist die digitale Infrastruktur dagegen als Teil eines neuen „Qualitätsmanagements“. Checklisten und Bearbeitungsfristen sollten verhindern, dass vernachlässigte Kinder durchs Netz fallen, weil die Jugendämter Hinweise übersehen. Datenschutzprobleme sieht seine Behörde nicht. Die öffentliche Verwaltung dürfe zu jeder gesetzlichen Leistung, die sie gewährleisten muss, „selbstverständlich die entsprechenden Daten erheben“, sagt Sprecherin Nicole Serocka. Einer förmlichen Einverständniserklärung „bedarf es nicht“. Die Gestaltung der Software sei mit dem Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar „in allen Einzelheiten abgestimmt“.
Dessen Büro allerdings sieht schon Probleme. Die Datenerhebung sei zulässig, solange Jus IT das gleiche tue wie Projuga, sagt Caspars Mitarbeiter Detlef Malessa. Schwierig werde es aber dann, wenn wie geplant ab 2014 die gemeinsame Datenhaltung mit den Sozial- und Wohnungsämtern hinzukomme. „Wenn jemand mal Wohngeld beantragt hat, geht es das Jugendamt gar nichts an.“ Man sei darüber seit längerem mit dem Senat in Diskussion und habe bisher „keine nachvollziehbare Antwort“ erhalten.
*Name geändert