Neukölln-Prozess geht in Runde zwei

Die Generalstaatsanwaltschaft legt Berufung gegen die
milden Urteile für die Neonazis Tilo P. und Sebastian T. ein

Von Erik Peter

Der Prozess gegen die Neuköllner Neonazis Tilo P., Sebastian T. sowie Samuel B. wird neu aufgerollt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat Berufung gegen die Urteile eingelegt, wie Sprecher Sebastian Büchner der taz bestätigte. Anders als die B.Z. zunächst berichtete, richtet sich die Berufung nicht nur gegen P., sondern alle drei Neonazis. Zudem wurde die Begründung nicht von Generalstaatsanwältin Margarete Koppers verfasst, sondern nur von ihr gezeichnet.

Die Berufung ist beim zuständigen Landgericht eingegangen, sagte ein Sprecher der taz. Das neue Verfahren, dessen Beginn in einigen Monaten erwartet werden kann, wird von einer erweiterten Kleinen Strafkammer des Landgerichts verhandelt.

„Man muss davon wegkommen, die Täter einzeln zu betrachten“

Ferat Kocak, Naziopfer

Die Neonazis standen seit August 2022 vor Gericht, angeklagt für eine Serie rechtsextremer Straftaten in den vergangenen 13 Jahren, vor allem aber für die Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann am 1. Februar 2018. Der Gerichtsprozess hatte zwar offengelegt, wie die Angeklagten ihre politischen Gegner, ihre Wohnorte und Autos ausspähten. Ein endgültiger Beweis für die Brandstiftungen konnte aber nicht erbracht werden – diese Anklagepunkte endeten mit Freisprüchen.

Der Prozess hatte im Februar mit einer anderthalbjährigen Haftstrafe für T. wegen Morddrohungen, Sachbeschädigungen und Sozialbetrugs geendet. Schon zuvor war das Urteil gegen den zweiten mutmaßlichen Haupttäter P. gefallen. Verurteilt wurde er lediglich zu einer Geldstrafe von 150 Tagessetzen à 30 Euro für acht Propagandadelikte bei einer Kampagne für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Samuel B. wurde wegen Sachbeschädigung in neun Fällen ebenfalls zu 150 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt.

Sebastian T. beim Prozess im Amtsgericht Tiergarten im August 2022 Foto: Olaf Wagner/imago

Die B.Z. hatte aus der Berufungsbegründung zitiert. Darin heißt es: „Eine Gesamtschau aller Indizien lassen keinen Raum für Zweifel an der Täterschaft.“ Bezogen auf Tilo P. und den Anschlag auf Kocaks Auto heißt es, dass „der Angeklagte nach der Kenntniserlangung des Kennzeichens und des Wohnortes zeitnah ziel- und zweckgerichtet handelte.“ Neue Beweise oder Indizien seien jedoch nicht angekündigt. Der Anwalt von Tilo P. bezeichnete die Berufung laut B.Z. als „Lyrik und juristische Verbalakrobatik“.

Ferat Kocak selbst sagte der taz: „Es bringt nichts, noch mal den gleichen Prozess durchzumachen.“ Stattdessen müsse man „davon wegkommen, die Täter einzeln zu betrachten, sondern die organisierte Struktur in den Blick nehmen“. Eine Wiederaufnahme des Prozesses sei dazu geeignet, „wieder Sichtbarkeit für das Thema zu schaffen und auf weitere Taten hinzuweisen“. Auch im Hinblick auf die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses sei eine höhere Aufmerksamkeit für die Thematik gut. Allerdings sei es ein Problem, dass dem Ausschuss die Einsicht in bestimmte Akten verwehrt werden, solange der Prozess läuft.