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Archiv-Artikel

„Wertschätzung als Individuum“

NEUER FOKUS Arbeitnehmerorientierte Weiterbildung ist ein kaum bekannter Ansatz. Hier steht der Arbeitnehmer mit seinen Interessen im Mittelpunkt – sagt Arbeitspsychologe Jörg Cirulies im Interview

Jörg Cirulies

■ ist Geschäftsführer von Arbeit, Bildung und Forschung e. V.:http://abfev.de

taz: Herr Cirulies, was ist unter arbeitnehmerorientierter Weiterbildung zu verstehen?

Jörg Cirulies: Dabei steht der Arbeitnehmer mit seinen Interessen und nicht das Unternehmen im Mittelpunkt. Wobei das einander nicht ausschließen muss. Zum Beispiel sollten ältere Mitarbeiter ein gesundes Arbeiten erlernen. Wie können sie auch bis 67 ihre Arbeit gut machen? Wie können sie sich abgrenzen gegenüber Stressauslösern oder einer ständigen Erreichbarkeit? Die Mitarbeiter erfahren als Individuum Wertschätzung für ihre Arbeit und werden nicht als Humankapital betrachtet.

Wie kommt man dahin?

Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, was man kann – eben die Fähigkeit zur Selbstreflexion, über eigene Fähigkeiten Auskunft geben zu können, Wissen weiterzugeben. Bei Zielvereinbarungen sollte der Mitarbeiter in der Lage sein, zu sagen, welche Weiterbildung er braucht, damit er diese Ziele auch wirklich erreichen kann. Ein weiteres Beispiele wäre die Fähigkeit, auftretende Probleme zu lösen. Das impliziert auch, dass man sich bei Bedarf Unterstützung einholt, wenn es Konflikte gibt – bei Kollegen, aber auch beim Betriebsrat und der Gewerkschaft.

Welcher Arbeitgeber zahlt dafür?

Vorsicht vor dem Aufbau von Fronten, denn alle gewinnen, wo überhaupt in Weiterbildung investiert wird! Auch die Geschäftsführung braucht doch selbstverantwortlich arbeitende Mitarbeiter, die eigenständig denken können, Prozesse anschieben und Bedarfe formulieren – all das gehört dazu, um in modernen Produktions- und Dienstleistungsprozessen handeln zu können.

Wie hat sich dieser Ansatz entwickelt?

Unsere ersten Forschungsprojekte drehten sich um Stress durch Schichtarbeit. Neu war der Fokus, sonst nur für Führungskräfte reservierte Sozialtechniken auch der Arbeitnehmervertretung anzubieten – wie Verhandlungsstrategien und Kommunikationstechniken. Inzwischen hat sich da eine Menge getan.

Was zum Beispiel?

Dazu gehört auch, dass Führungskräfte etwa an Trainings zur Erkennung psychischer Belastung am Arbeitsplatz teilnehmen. Das spielt eine zentrale Rolle bei der Arbeitsplatzgestaltung. Moderne Weiterbildung ist der Nachhaltigkeit verpflichtet: Es geht um die Etablierung einer Personalentwicklung mit dem Ziel, Kompetenzen zu sichern und so einen Beitrag zur Standortsicherung zu leisten.

Gibt es Studien zum Thema?

Ein Beispiel ist die letzte Gallup-Studie, in der herausgefunden wurde, dass eine innere Kündigung eher vollzogen wird, je weniger emotionale Bindung zum Betrieb besteht. Und das hängt auch damit zusammen, wie wohl man sich am Arbeitsplatz fühlt. In Anbetracht der immer wichtiger werdenden Mitarbeiterbindung tun sich da einige Handlungsfelder auf.

INTERVIEW: HOLGER KLEMM