: Der David und die Billie
Materialvoll und bunt und dabei voller Widerhaken: Mit seiner Ausstellung „Liquid Poem“ bespielt der Wahlhamburger Filip Markiewicz die Kieler Stadtgalerie – im doppelten Sinne
Von Frank Keil
Okay, beginnen wir mit dem Knallerbild, ziemlich weit hinten zu sehen: Öl auf Leinwand – wandfüllend groß. Ein Bild, aus dem zuallererst ein weiteres Bild herausragt: Billie Eilishs leicht entrücktes Porträt, verwendet für ihr Album „Happier Than Ever“, Sommer 2021, mehr als eine Million Mal verkauft; darauf hat sich wiederum eine sehr heutige Klimaaktivistin festgeklebt hat, „JUST STOP OIL“, fordert ihr T-Shirt. Eingebaut ist diese Kombo in eine kabinetthafte Szenerie mit Totenkopf und Kristalltropfen plus zwei in faltenwerfende Gewänder gehüllte Frauen, gehalten in Blau und Rot vor einem schlichten, gelben Bett. Eine Anspielung auf „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue?“, wie Barnett Newman ab 1966 fragte und malte – und damals viele vor den Kopf stieß. Auch Bezüge zu Johannes Vermeer und Francis Bacon lassen sich entdecken in der Kieler Stadtgalerie.
Es ist überhaupt eine illustre Schau, schon formal: Üppige Malerei folgt auf sacht Gezeichnetes, dazu fordern einen Videos und Installationen; es finden sich Skulpturales plus eingängige Klänge. Und Künstliche Intelligenz ist auch hier im Spiel, und selbst wer meint, sich damit nicht auszukennen: Hier sieht man, wie Motive und Bildelemente durch den Computer gejagt wurden.
Schöpfer des knalligen Universums ist Filip Markiewicz, 1980 in Luxemburg geboren als Sohn polnischer Einwanderer. Danach hat er in Straßburg Kunst studiert, seine Karriere startete durch, als er 2015 den Biennale-Pavillon des Großherzogtums bespielte. Seit einigen Jahren lebt er in Hamburg, in Kiel war er schon mal mit einer Einzelarbeit vertreten, einer Filminstallation als Teil der Gruppenausstellung „Are you satisfied – Aktuelle Kunst und Revolution“. Das war im November 2018, genau 100 Jahre also nach dem geschichtsträchtigen Kieler Matrosenaufstand. Stadtgalerie-Leiter Peter Kruska ließ ihn danach nicht aus den Augen, vergangenes Jahr etwa sah er sich Markiewicz’komplexe Schau „Ultrasocial Pop“ in Kaunas in Litauen an, damals Kulturhauptstadt Europas. Salopp gesagt, ließ man das meiste da Gezeigte einpacken und nach Kiel bringen – ergänzt um aktuelle Arbeiten, die bei Markiewicz ganz besonders aktuell sind.
„Um ehrlich zu sein, mache ich die ganze Kunst nur für mich selbst“, so lässt der Künstler selbst sich ein, laut einem Interview, das nun in Gestalt einer Broschüre ausliegt. Das glaubt man ihm sofort – und tut’s auch wieder nicht. Warum wären wir sonst hier? „Ich strebe sicher nicht danach, ein Gesamtkunstwerk zu erschaffen, auch wenn die Summe meiner Arbeit etwas ergeben könnte, das von außen betrachtet wie ein Gesamtkunstwerk aussieht“, auch das sagt er. Rockt Markiewicz sich einerseits nur behände durch die postmoderne Kunstgeschichte? Oder sind da nicht doch jede Menge allgemeingültige Widerhaken zu spüren, in den einzelnen Bildern, in der Gesamtkonzeption, in dem Konglomerat aus so emsig eingestreuten Bezügen?
Ob dieses Spiel aufgeht, ob es also gelingt, in dieser flüchtigen, tänzelnden Kunst eine Art stabilen Kern zu entdecken, um den man kreisen könnte: Man kann versuchen das an den Reaktionen der BesucherInnen abzulesen. Die einen verlassen nach wenigen Minuten mit meist unbewegtem Gesicht die Räume wieder, strömen ins Freie.
Filip Markiewicz in der ausliegenden Broschüre
Anderen hingegen, auch ziemlich fix, zaubert die Ausstellung ein verzücktes wie entspanntes Lächeln nicht nur um die Mundwinkel. Dieser Teil des Publikums geht leichter und federnder, scheint’s, es wird wissend gekichert, man stupst sich an, zeigt einander, was man (wieder) entdeckt hat – etwa, wo überall David Bowies von einem blitzartigen Zacken dominiertes Porträt zitiert in Erscheinung tritt. Und dann, an der nächsten Wand, als Zitat des Zitats wiederkehrt – so wie Markiewicz sich selbst eine Bleistift-Zeichnung geschenkt hat: „I’M JUST A COPY OF A COPY OF A COPY“ ist darauf zu lesen, wiederum eine popkulturelle Anspielung: eine Zeile aus einem Liedtext der Nine Inch Nails. Eine Band hat auch Markiewicz selbst, oder besser: ein rätselhaftes Musikprojekt namens „Raftside“, das nur der Vollständigkeit halber.
Hätten wir zum Abschluss – aber auch, auf dass es weitergehe – einen Wunsch frei, dann den, dass Anselm Kiefer plötzlich die Stadtgalerie betrete: Der große und durchaus alte Recke des für alle Ewigkeit konzipierten Bildes aus Blei, aus Stroh und aus Erde, stets mehr als wuchtig, nicht zufällig Lagerhallen füllend; der also träfe auf den jungen Spieler, der immer wieder in die Zauberkiste greift – und selbst staunt, was er plötzlich in den Händen hält. Was dann passieren würde, was sich diese beiden zu sagen hätten, wie sie sich vielleicht umkreisen würden, versuchen, einander zu verstehen, diese beiden so gegensätzlichen Pole, was die Kraft der Kunst an sich angeht und die des Bildes im Besonderen: Dessen Zeugen wären wir gerne, das hätte was. Wünschen, das lernt man in dieser Ausstellung, kann man sich ja alles.
Filip Markiewicz, Liquid Poem: bis 27. 8., Kiel, Stadtgalerie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen