Klassismus im Kulturbetrieb: Gespenstische Zustände

Die Berlinische Galerie hat sich dem Thema Klasse angenommen – eine klassische Kulturinstitution mit Regelförderung. Kann das gut gehen?

Ein Kunstwerk zeigt ganz viele kleine Figuren

„K(l)assensturz“: An der Berlinischen Galerie fällt der Begriff Klassismus normalerweise selten Foto: Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung/Leyla Sehar-Madauß

Ein Gespenst geht um im Kulturbetrieb. Es heißt Klassismus. Unter dem Titel „K(l)assensturz – Ein Abend über Ausschlüsse und soziale Herkunft im Kulturbetrieb“ wurde kürzlich in der Berlinischen Galerie gefragt, wie eine intersektionale Perspektive auf Klassismus aussehen kann, denn wie es so ist mit Gespenstern: Sie sind nicht leicht zu fassen. Ein sichtbares Gespenst lässt sich besser jagen. Wie nötig diese Kartografierung in der Berlinischen Galerie ist, wird in der Eröffnungsrede von Christine van Haaren, Leiterin der Bildungsabteilung, klar: „Die Begriffe Klassismus oder auch Klasse [fallen] selten bis nie in der Berlinischen Galerie, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, gilt das auch für andere Themen wie beispielsweise Rassismus.“

Klassismus ist die strukturelle Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder aktuellen Klassenposition. Dass dieser oft mit Rassismus und Sexismus verbunden ist, macht als erster Gast des Abends der Kunsthistoriker Gürsoy Doğtaş am Beispiel von Baha Targün und den Streiks im Ford-Werk in Köln-Niehl 1973 deutlich. Türkische Arbeiter wurden gegenüber ihren deutschen Kollegen ökonomisch deprivilegiert. Sie verdienten weniger als Deutsche, Frauen weniger als Männer.

Als Reaktion auf die Proteste 1973 und den darauffolgenden Anwerbestopp, eröffnete am 5. September 1975 in den Räumen des Kunstamts Kreuzberg die Ausstellung „Mehmet Berlin'de. Mehmet kam aus Anatolien.“ Organisiert vom türkischen Akademiker- und Künstlerverein wurden u.a. Werke von Mehmet Hanefi Yeter, Mehmet Çağlayan und Mehmet Aksoy ausgestellt und das realisiert, was der türkische Akademiker- und Künstlerverein im Dossier zur Ausstellung noch vermisst: „Obwohl [der türkische Arbeiter] das Kulturleben der Stadt mitfinanziert, werden ihm keine vernünftigen Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung angeboten.“ Kunst, die Ungerechtigkeitsverhältnisse adressiert, wird oft als ideologisch abgetan. Zur Mehrfachdiskriminierung gesellt sich eine weitere Kategorie: Neben Klasse und Herkunft spielt bei Zugängen immer auch die politische Überzeugung eine Rolle. Der türkische Arbeiterchor, der zur Ausstellung Gedichte des Dichters Nâzım Hikmet als Lieder vortrug, wurde rasch von der Berliner Morgenpost und der CDU verdächtigt, linksextrem zu sein.

Barrieren an Hochschulen

Klassismus führt zu Ausschluss. Im Kulturbetrieb und an den Kunsthochschulen radikal sein, auf Barrieren aufmerksam machen, wenn die Zukunft von Bewertungen oder von Geldern durch Förderungen der Institutionen abhängig ist, ist immer mit dem Risiko verbunden, an den Rand gestellt zu werden. Bis heute werden Künst­le­r:in­nen gezwungen, ihre Identität zu thematisieren. Oft werden erst dann alternative Ausdrucksweisen jenseits des klassischen Kunstverständnisses zugelassen. Dem neoliberalen, auf Profit ausgerichteten System kann sich kaum jemand entziehen. Subversiver Protest liegt derweil im Detail. So berichtet Petja Dimitrova, Künstlerin und Aktivistin, von einer queeren Studierenden der sogenannten dritten Generation Gastarbeiter*innen, die aus Empörung, dass es überhaupt abgefragt wird, ein höheres Einkommen ihrer Eltern angab.

Bahareh Sharifi, Lisa Scheibner, Justine Donner und Lyza Schwab: „Kunst kommt von Können?!“ Klassismus im Kulturbetrieb, eine Publikation von kultur_formen und Diversity Arts Culture, online verfügbar unter: diversity-arts-culture.berlin + kulturformen.berlin

Den Abend schließt eine Initiative aus der Praxis. Bahar Meriç ist Choreografin. Sie steht mit DOore tOx Antrie und Silke Ballath als Ver­tre­te­r:in­nen von FutureMove auf der Bühne, einem Mentoringprogramm, das die Repräsentation diverser Körper im Tanzbetrieb vermisst. Die Körper dort sind weiß, jung, schlank, able, Kulturprogramme immer noch nach bürgerlichen Lebensweisen ausgerichtet. Mit Workshops, die Care-Arbeit mitdenken, Tanzstile wie Krump anerkennen und einer Haltung, alle Körper sehen zu wollen, richtet sich das Projekt gegen die bürgerliche Einengung von Kultur.

Der klassische Kulturbetrieb ist, von seinen Ausbildungsorten bis zu den Institutionen, immer noch zu steif, zu gespenstisch. Die Berlinische Galerie ist da keine Ausnahme. Aber sie macht einen Anfang. Zu hoffen bleibt, dass die Worte Klassismus und Rassismus bald häufiger fallen werden.

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