piwik no script img

Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmEin Blick in die Zukunft von der einstigen Pinguin-Bar aus

Foto: taz

Nach Tagen der Herumtreiberei und -schwitzerei schüttet es am Freitagvormittag so heftig, dass selbst der Weg zum Bäcker unmöglich scheint. Einlullend prasselt es ans Fenster, immer schön weiterschlafen. Bald brauch ich kein Frühstücksbrot mehr, da ist ja noch Suppe von gestern. Dann streikt die Regenrinne, sie muss verstopft sein. Das Wasser schießt fontänenartig oben raus und plattert gegen die Wand. Vom Schreibtisch aus klingt es, als wäre in meiner Wohnung ein Wasserrohrbruch. Alle paar Minuten, wenn ein weitere Schwall niedergeht, schrecke ich auf: Jetzt ist es wirklich passiert. Ich renne nervös in die Küche. Natürlich ist alles gut.

Abends hört es auf zu regnen und wir machen uns auf den Weg in die Pinguin-Bar, bevor sie wieder schließt. Die als Inspiration dienende Location für die temporäre Pop-up-Bar im Haus der Berliner Festspiele hatte 1949 in der Bülowstraße eröffnet. Finanziert von einem weißen Ehepaar, wurde die Jazz-Bar von Menschen aus der damals noch kleinen afrikanischen Diaspora betrieben. Nach zwei Jahren wurde der populäre Ort von den Behörden geschlossen, angeblich aus steuerlichen Gründen.

Nun ließ ihn der senegalesische Künstler Alibeta im Rahmen des Festivals „Performing Exiles“ (15.–25. Juni) wiederauf­erstehen. Und weil das Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße ein toller Ort ist, freue ich mich über jeden Anlass, dort hinzugehen. Irgendwie strahlen viele der Nachkriegsmoderne-Bauten einen geerdeten Zukunftsoptimismus aus, von dem man sich fragt, woher die Leute den seinerzeit genommen haben.

Auf dem niemandslandigen Weg entsteht der Eindruck, dass der Bezirk Wilmersdorf um 23 Uhr bereits schläft. Vor Ort ist aber eine vergnügliche Party im Gange; eine lustige Mischung von feiernden Leuten. Eine Modenschau lässt das Ganze noch flirrender wirken. Deren Master of ceremony rezitiert einen Text, in dem es unter anderem um eine Mango geht, die er als Kind einpflanzte. An den Früchten, die der daraus gewachsenen Baum trägt, freut er sich bis heute – eine Metapher, die das Präsentierte wohl als Gegenentwurf zur geschmähten Fast Fashion verorten will. Doch dem Text kann ich kaum folgen, der muntere Clash von Mustern und Formen hält die Sinne auf Trab. Danach gibt Alibeta mit der Hausband ein Afrobeat-Konzert: von der einstigen Pinguin-Bar aus gesehen ein Blick in die Zukunft.

Am nächsten Tag dann eine Reise in die eigene Vergangenheit: Mars Volta sind erstmals seit zehn Jahren in der Stadt. Irgendwann in den mittleren Nullerjahren waren die live einmal so umwerfend, dass ich alles vergessen habe – außer, dass es toll war. Beim Wiedersehen mit alten Helden landet man ja schnell auf heiklem Terrain. Ihr Latino-Noise-Prog dreht aber auch heute noch großartige Pirouetten. Die lassen sogar vergessen, dass man für das Konzert an einen Unort muss: den aus dem Boden gestampften Stadtteil zwischen Warschauer Straße und Ostbahnhof. Der schreit in seiner Unorthaftigkeit noch lauter, weil ich gerade erst aus dem lauschigen Garten des://about blank komme. Dort gab es als Warm-up fürs eigentlich elektronische Krake-Festival die tolle Band Pisse: Punk mit Theremin.

An der Warschauer Straße kriege ich Nackenstarre, so hoch ist der Amazon-Tower mittlerweile. Das muss man erst mal schaffen: jeder Neubau hier toppt, was an Scheußlichkeiten schon herumsteht. In dem Kontext mutet die Verti Music Hall, wo Mars Volta spielen, fast wie ein Wohlfühlkokon an. Zumindest wenn das Licht aus ist und man den ganzen Corporate Bullshit ausblenden kann. Weil meine Tasche minimal zu groß ist, muss ich sie abgeben, für fucking fünf Euro! Den jungen Mann an der Garderobe frage ich, ob man das Abzocke nennen darf: „Das muss man so nennen“, lautet die Antwort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen