berliner szenen: Ohne Energie für Gespräche
Die Lichter gehen an, vor mir räkeln sich Körper aus tiefen Sitzen. Die Worte des Moderators kreiseln noch im Gehörgang, ich schon an der Saaltür. Zu lange der Tag, um noch Energie für Gespräche im Foyer zusammenzukratzen. Neben der Liegenden von Henry Moore lehnt mein Rad verwaist an einem Bügel. Ich schiebe es über Schieferplatten, dann plötzlich ein junger Fuchs vor mir. Ohne Fluchtreflex stiert er in meine Richtung. Ich klettere aufs Rad, er trollt sich. In solchen Momenten hat mich mein Gefährt noch nie im Stich gelassen, wie ein Pferd ist es eine Festung und findet den Weg allein. Zumindest irgendwann. Erst mäandern wir durch den staubigen Tiergarten. Auf einer Bank sitzt ein Mann mit langem Bart, Wollmütze und einem nackten Fuß, den er mir entgegenstreckt wie eine Drohung. Unbeeindruckt rollt das Rad ins Bermudadreieck zwischen CDU-Zentrale, Bolivianischer Botschaft und Riu Plaza, dessen rot-schwarz-blaue Fassade im Abendlicht glimmt. War hier nicht mal ein Laden, wo ich mir Dioden besorgte? Ich kann mich nicht erinnern. Immer wenn etwas aus der Stadt verschwindet, entsteht eine Gedächtnislücke. Ich blicke auf einen Wohnblock auf der anderen Straßenseite, der schon leer zum Abriss bereitsteht. Wird da noch ein Hotel hingesetzt? Das Rad wählt die Martin-Looser-Straße, schert aus zu einem Spätkauf, der seine Kühlschränke vor eine kleine Passage stellt. Nun sehe ich, dass es Automaten sind, wo man nach Geldeinwurf Getränke zieht. Weiter südlich, an der Ecke, wo vor Kurzem noch ein anderer Laden war, komplettiert sich das Späti-Band, das inzwischen erst weit hinter Tempelhof abbricht. Ich blickte auf die Spuntwand, hinter der eine Kirche aufragte: Schäkernde Biertrinker wie Zugvögel auf einer Überlandleitung scheinen die Touristifizierung des Viertels zu belegen.
Timo Berger
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