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Ohne Titel ragt in den Assoziationsraum

In der Kunsthalle Hamburg überschreitet die Ausstellung „Keine Illusionen“ mit neuer Malerei munter die Grenze zum Skulpturalen. Wenn es die überhaupt noch gibt

Von Hajo Schiff

Dass die Malerei tot sei, wird meist nur behauptet, um es zu widerlegen. Allerdings ist die Königsdisziplin der Kunst längst nicht mehr auf das Bild auf Leinwand im hübschen Rahmen beschränkt, ja nicht einmal auf die Wand. Jahrhundertelang ging es darum, mit Form und Farbe möglichst perfekt die Illusion von Realität zu schaffen, dann begann die Moderne vom Kubismus bis zur konkreten Kunst, eben das, die Form und die Farbe als eigene Realität zu fassen. Und heute ist – wie in vielen anderen Bereichen auch – alles möglich: Es reicht, die VerursacherInnen möchten es als Malerei verstanden wissen.

„Keine Illusionen“ ist die aktuelle Ausstellung zum Thema in der Hamburger Kunsthalle betitelt. Teils Sonderausstellung, teils mit Arbeiten aus dem Bestand, zeigt sie in neun Beispielen, dass das aktuell dekonstruierte Bild kein Abbild mehr ist, sondern Dokument eines Prozesses, ja dass es sogar eine Skulptur oder ein Bühnenbild sein kann.

Farbintensität kann Räume schaffen, auch wenn die meist mit dem Kammspachtel erstellten Farbfeldmalereien von Rolf Rose noch Tafelbilder sind, in die ein Eintauchen nur mental möglich ist. Dass eine vibrierend monochrome Bildfläche dabei keineswegs nur aus einer Farbe aufgeschichtet ist, zeigen nicht nur ansatzweise die Bildränder, sondern auch die mit ausgestellte vielfarbige Malbank des Künstlers. Die Kunsthalle sammelt die ebenso puren wie intensiven Arbeiten des norddeutschen konkreten Malers schon seit 1982; dieses Jahr konnte er gerade seinen 90. Geburtstag feiern.

Der jüngeren Generation genügt ein sensitiv-mentaler Raum nicht mehr. Real über Eck montiert die in Berlin lebende Shila Khatami ihre Sonnenaufgang oder Zielscheibe assoziierenden, mittels gewöhnlicher Farbwalze mit grauen Kreissegmenten großräumig bemalten Lochplatten. Sie baut sogar einen multireflektierenden Spiegelraum aus im Baumarkt besorgtem Tränenblech (das heißt wirklich so). Bei beiden Installationen können die BetrachterInnen also ganz real ins Bild gehen. Doch bleibt zu fragen, ob dergleichen selfikompatibles analog-immersives Tun über den überraschenden Bühnen-moment hinaus einen weiterführenden Erkenntniswert hat.

Nahezu wissenschaftlich geht der Leipziger Ingo Meller mit der Malerei um. Die Farbexperimente des langjährigen Professors an der dortigen Kunsthochschule sind streng nur nach den Materialnamen bezeichnete kombinierte Pinselabstriche auf Standardleinwandstücken. Einzelne davon werden als eigenständig bildwürdig beurteilt, alle anderen werden zu je 25 in einem System eigens angefertigter Bildboxen gespeichert. Dreißig dieser Kästen, hier in ihrem Lagerregal präsentiert, geben eine Ahnung von dem so über Jahrzehnte aufgebauten, wohl einmaligen Archiv von Farbwirkungen.

Shila Khatami baut tatsächlich einen Spiegelraum mit Tränenblech aus dem Baumarkt

Die Titel bestimmen die Malerei immer mit. Die Münchner Multimediakünstlerin Dana Greiner weitet keinen Realraum, sondern einen Assoziationsraum, indem sie aus dem Bild heraus eine blaue Kordel das Wort „Querelle“ formen lässt. Und so öffnet der französische Begriff für Streit neue Perspektiven – es ist auch der Name einer zwielichtig ambivalenten Figur in einem Roman von Jean Genet. Die aus Österreich stammende Sabrina Haunsperg hat ihre vierteilige Bilderserie ausdrücklich der politisch verfolgten belarussischen Musikerin Maria Kalesnikava gewidmet. Hier steht sie für die Position, dass Malerei und Musik immer auch in abstrakter Freiheit expressiv Gefühlswerte ausdrücken können.

Die Vielfalt des Ausdrucks sprengt dabei immer öfter den traditionellen Rahmen. Mit ihren Bildfaltungen arbeitet Franziska Reinbothe an der Dekonstruktion des Bildträgers selbst. Und da jedes Bild, wenn schon nicht den Raum definiert, so doch die Wand und seine unmittelbare Nachbarschaft, sind viele MalerInnen daran interessiert, die Hängefläche mitzugestalten, sei es durch aus dem Einzelbild ausgreifende Farben, sei es durch direkte bildnerische Kommentare. Beispiele dafür sind Helga Schmidhubers wie enzyklopädische Schautafeln wandfüllenden tierischen Bildüberlagerungen und Cornelia Baltes mit ihren die Interaktion von Linie und Fläche im Bild und auf der Wand auslotenden starkfarbigen Abstraktionen.

Auch der Berliner Dominik Halmer braucht den ganzen Wandraum als Interaktionsfläche für seine schon ins Plastische spielenden Leinwandfigurationen, die in der Zusammenschau mit Fantasie als eine Art Verkündigungsszene zu deuten sind. Und seine frei im Raum stehenden Kombinationen von Malerei und Skulptur verwischen den Unterschied von Abbild und realem Objekt. Sie kommen gar wie skurrile Möbelstücke daher – und sie setzen manchmal auch wieder auf Illusionistische Elemente.

Farbe im Kontext, Bilder als skulpturale Form und Räume als Bild: Das ganze Spektrum heutiger Malereiansätze präsentiert „Keine Illusionen“ bis Herbst in der ersten Etage der Galerie der Gegenwart. Die folgende Ausstellung in diesen Räumen wird dann zum Winter dem Romantiker Caspar David Friedrich zum 250. Geburtstag gewidmet sein – über das breit aufgestellte Spektrum der Hamburger Kunsthalle ist nicht zu klagen.

Keine Illusionen – Malerei im Raum, Hamburger Kunsthalle/Galerie der Gegenwart, bis 31. 10.

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