piwik no script img

Anverwandlung und Endlichkeit

Harfen, Heavy Metal und ein musikalischer Webstuhl: Heute beginnt „Klangteppich V“, das Festival für Musik der iranischen Diaspora

Von Robert Mießner

Stachelgeige, Langhalslaute und Kelchtrommel, aber auch Synthesizer, das sind die Instrumente, die seit 2018 auf dem Festival „Klangteppich“ zu hören sind. In diesem Jahr kommt ein Webstuhl hinzu. Kuratorin Franziska Buhre weist im Gespräch mit der taz auf das Festivallogo hin, in dem senkrechte Fäden in einen Schriftzug münden. Über den Webstuhl als Klangerzeuger hat sich Buhre mit Anne Hederer, der Werkstattleiterin Weben und Färben an der Kunsthochschule Weißensee, beraten.

So fühlbar die Klangteppich-Musik ist, so methodisch geht Buhre, die Journalistin ist, zuweilen für die taz schreibt und mit ihrer Kollegin Julia Neupert für die gemeinsam erarbeitete SWR-Sendereihe „Jazz-Frauen – Wegbereiterinnen im Off“ mit dem Deutschen Jazzpreis 2023 ausgezeichnet wurde, an die Vorbereitung des Festivals. Dabei ist ein Programmpunkt entstanden, bei dem die Akustik und Mechanik eines Webstuhls in Wechselwirkung mit elektronischen Effektgeräten tritt: Unter dem Titel „Loom“ erarbeiten die Weberin Kira de Picciotto und der Klangkünstler Iman Jesmi „eine Performance über die Berührungen zwischen Tastsinn und Textil. Die Zeitlichkeit von Klängen erhält mit der Fertigung des Textils eine Stofflichkeit, die im Verlauf sichtbar wird.“ Dazu gehört, dass der Webstuhl auf eine Leinwand projiziert wird. Man kann der Maschine beim Arbeiten zuschauen.

Wer einmal in einer Webwerkstatt war, weiß, dort geht es nicht unbedingt leise zu. De Picciotto und Jesmi mussten sich überlegen, „welche Sounds man verstärken kann und bei welchen man es gar nicht muss, weil sie so schon laut genug sind“, sagt Buhre.

Zur Methodik von Klangteppich gehört, dass seit 2021 in Kooperation mit der Schweizer Publikationsplattform „Norient“ ein begleitendes Festivalmagazin erscheint. Bis jetzt nur online, gibt es zur Feier der fünften Klangteppich-Ausgabe erstmals eine Druckedition. Die 80 Seiten des Heftes versammeln über ein Dutzend Beiträge, darunter Essays, Interviews, Musiktheorie, Fotoserien, zwei Gedichte und eine historische Untersuchung.

Der Geschichtswissenschaftler Matthias Küntzel schreibt dort über „Der Rundfunk als Waffe. Die Persisch-sprachige Nazipropaganda und ihre Folgen“. Von 1939 bis 1945 sendete Radio Zeesen aus Königs Wusterhausen bei Berlin antisemitische Agitation, um die Bevölkerung Nordafrikas und des Mittleren Ostens an das Deutsche Reich zu binden. Küntzel hat zu dem Thema 2019 das Buch „Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand“ veröffentlicht. Es geht darin hauptsächlich um den arabischsprachigen Raum, aber das Buch enthält auch einen „Exkurs: Die Nazis und der Iran“, den Küntzel jetzt weiter ausführt. Aus seinem Beitrag wird auch der Podcast des Festivals entstehen, in dem auch das Lautarchiv der Humboldt-Universität besucht wird.

Aber natürlich bleibt Klangteppich ein Musikfestival. Ein schönes Beispiel für die Anverwandlung von Tradition ist das Ensemble Ilyad: Pardis Zarghampour (Gesang), Milad Zendehnam (Tanbour und Setar), Penelope Gkika (Geige), Borys Slowikowski (Perkussion) und Fidan Aghayeva-Edler (Klavier). Das Quartett spielt Lieder der Luren, einer ethnischen Minderheit im Südwesten Irans. Exotisierung und Verklärung sind ausdrücklich nicht die Sache des Festivals. Aghayeva-Edler kommt aus Aserbaidschan, Slowikowski ist Pole, der viel über Perkussion aus der Türkei und aus Westasien geforscht hat. „Ich möchte das Festival öffnen, hin zu gemeinsamen Geschichten aus der Region“, bemerkt Buhre.

Ilyad werden am Eröffnungsabend auftreten wie auch das Trio Liminal Practice: Hans Unstern, Samira Memarzadeh und Simon Bauer. Alle drei setzen ihre Stimmen ein, aber vor allem spielen sie Harfen: Im Fall von Unstern und Bauer Raumharfe, das sind Klaviersaiten, die im Theater installiert und bespielt werden. Unstern und Bauer konstruieren seit über einem Jahrzehnt experimentelle Harfen. Memarzadeh spielt Čang, eine für sie angefertigte vertikale Winkelharfe, die man in Deutschland selten hört, die aber in Persien bis ins 17. Jahrhundert gespielt wurde.

Den zweiten Abend, eröffnen wird ihn das Loom-Duo, beschließt die Metal-Oper „Aftermath“ um Nikan Khosravi, Frontmann der Band Confess. „Ich verstehe nichts von Metal“, gibt Buhre zu. Aber den in Iran verfolgten und verurteilten Khosravi wollte sie schon lange im Festival haben, auch wenn sie befürchtete, damit „selber ins Fadenkreuz zu geraten“. Als im Herbst 2022 die Rebellion in Iran begann, sagte sich Buhre: „Ab jetzt wird nichts mehr versteckt.“

Wer bei dem Webstuhl übrigens an Heinrich Heines „Die schlesischen Weber“ denkt, liegt nicht völlig falsch. Es geht in dem Vormärz-Gedicht um die Endlichkeit von Herrschaft.

Klangteppich V – Festival für Musik der iranischen Diaspora, 8. bis 9. Juni. tak – Theater Aufbau Kreuzberg, Prinzenstraße 85F, 10969 Berlin. Programm: www.klangteppich.berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen