piwik no script img

Volkswagen in China

Mehr als eine Familiengeschichte: Felix Lees China-Buch

Von Michael Wolf

Bis vor einigen Jahren hätten wohl nur wenige Deutsche auf die Frage nach dem Staatspräsidenten Chinas die richtige Antwort gewusst. China, das war lediglich die Werkbank einer Welt, die unangetastet in bester westlicher Ordnung schien. Nun, da Xi Jinping dem russischen Präsidenten den Rücken stärkt, Taiwan bedroht und immer mehr Länder in seinen Einflussbereich zieht, wird offenbar, dass China die längste Zeit unterschätzt wurde. Die Werkbank ist dabei, den ganzen Laden zu übernehmen. Wie konnte das geschehen?

Felix Lee, Ex-taz-Redakteur, liefert Antworten. Er rekapituliert die deutsch-chinesischen Beziehungen der letzten Jahrzehnte mit Fokus auf dem VW-Konzern. Das klingt trocken und ausufernd, ist es aber nicht, weil sein Buch mit dem Titel „China, mein Vater und ich“ auch sehr persönliche Züge trägt. Felix Lee ist der Sohn Wenpo Lees, der VW nach China brachte. Seine Lebensgeschichte allein böte Stoff für einen Roman. Als Kind floh er ohne seine Eltern vor Maos Armee nach Taiwan. Dort hatte er das Glück, von einem Lehrerehepaar gefördert zu werden. So kam er zu einer Schulbildung und konnte sogar im Ausland studieren.

Felix Lee: „China, mein Vater und ich. Über den Aufstieg einer Supermacht und was Familie Leeaus Wolfsburg damit zu tun hat“. Ch. Links Verlag, 256 ­Seiten, 22 Euro

Wegen seiner Begeisterung für Motoren ging er nach Deutschland und landete als Ingenieur bei VW. Unwahrscheinlich genug ist diese Biografie bereits bis hierhin, doch dann läutete an einem Apriltag des Jahres 1978 in Lees Büro auch noch das Telefon und ein Kollege fragte, ob er als Dolmetscher einspringen könnte. Vor dem Werk war unerwartet eine Delegation der Volksrepublik aufgetaucht. Aus der Vermittlerposition erwuchs bald mehr. Lee wurde Manager und trieb Volkswagens Chinageschäft entscheidend voran, gegen alle Widerstände und auch in schwierigen Zeiten.

Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 verließen viele Firmen zunächst das Land, die Wolfsburger blieben. Als Lee seinen Vater später nach den Gründen fragt, antwortet dieser stur: „Chinas Führung hätte auch ohne VW überlebt.“ Die Entscheidung war rein wirtschaftlicher Natur, mit Politik habe man nichts zu tun haben wollen. Eine weitverbreitete Haltung in einer ganzen Generation aus Wirtschaftseliten, die an die Losung „Wandel durch Handel“ glaubten oder sie als Legitimation verstanden, die Augen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verschließen.

Seine Lebens­geschichte allein böte Stoff für einen Roman

Lee stieß immer wieder auf sie, auch als er, nun bereits Korrespondent in Peking, Angela Merkel auf Staatsbesuchen begleitete. In Hintergrundgesprächen habe die Kanzlerin deutlich gemacht, dass sie das autoritäre System der Kommunistischen Partei ablehne. „Wenn es aber konkret um ihre China-Politik ging, war davon nicht viel zu spüren.“ Die Gründe liegen auf der Hand. Die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Automobilwirtschaft profitierte immens von der Entwicklung der Volksrepublik. Inzwischen ist jedoch längst ein Kipppunkt erreicht. War China früher ökonomisch abhängig von Staaten wie Deutschland, ist es nun umgekehrt. Lee ist einer von wenigen Autoren, die diese Abhängigkeit sehr konkret darstellen können. Er verfügt nicht nur über das notwendige ökonomische und politische Wissen, sondern ist auch persönlich durch seine familiäre Herkunft maßgeblich von dieser Beziehung geprägt. Ohne die Profite aus Asien sähe beispielsweise seine Heimatstadt völlig anders aus. „Sehr wahrscheinlich würde es das Wolfsburger Kunstmuseum nicht geben, das Science-Centre Phaeno auch nicht, der VfL Wolfsburg würde nicht in einem so prachtvollen Stadion spielen.“

Am Ende seines Buchs schildert er das Szenario, dass gegen China Sanktionen ausgesprochen würden. Deutsche Firmen würden sich gegen diese zur Wehr setzen, aus Selbstschutz, denn sie könnten ohne ihre Geschäfte in Fernost nur schwer bestehen. Es liegt somit nahe, Wolfsburg als Miniaturversion der deutschen Wirtschaft zu verstehen. Eine beunruhigende Vorstellung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen