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Romantik schwarzer Seelen

In der Staatsoper erlebte „Die schöne Müllerin“, ziemlich frei nach Franz Schubert, ihre Uraufführung in einer experimentellen Zurichtung der Musicbanda Franui aus Osttirol

Die Musicbanda Franui erzählt von Stimmungsschwankungen eines Verliebten: Nikolaus Habjan (l.), Florian Boesch Foto: Foto: Bernd Uhlig

Von Katharina Granzin

Die schöne Müllerin ist ein Gespenst. Andere Assoziationen lässt die vom Puppenspieler Nikolaus Habjan hergestellte, leicht überlebensgroße bleiche Figur kaum zu. Ein langes weißes Kleid umhüllt sie wie ein Leichengewand, sinister metallisch leuchten ihre Augen. Auch der Müllersbursche, dem der Sänger Florian Boesch Stimme und Gesten leiht, wirkt ebenso geisterhaft-ätherisch, obgleich seine Puppe im Gegensatz zur statischen weißen Frau permanent in Bewegung ist: sein glatter weißer Schädel, sein weißes Hemd verleihen ihm eine ausgesprochen jenseitige Aura. Wir sehen und hören – ob das nun so gemeint sein soll oder nicht – ein Kammerspiel im Geisterreich. Der Wunsch nach unsterblicher Liebe und das Leiden an ihrem Ausbleiben sind eben einfach nicht totzukriegen.

Die in Osttirol beheimatete Musicbanda Franui hat sich für ihre neue Produktion, deren Uraufführung am Wochenende in der Berliner Staatsoper stattfand, den Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ vorgeknöpft. Es ist Franuis zweite abendfüllende Produktion in Zusammenarbeit mit dem Bariton Florian Boesch. Anders als bei ihrem Programm „Alles wieder gut“, das Lieder verschiedener Komponisten enthielt, ist bei der jetzigen Produktion nicht nur neu, dass sämtliche Lieder von Franz Schubert stammen; die zyklische Form des Ganzen lädt zudem dazu ein, aus dem inhaltlichen Zusammenhang der Stücke mehr zu machen als einen reinen Vortragsabend. Da kommt Nikolaus Habjan ins Spiel, auch er ein erprobter Franui-Kollaborateur. Habjan kann unter anderem sehr virtuos pfeifen, wie er im ersten Lied, „Das Wandern“, im Duett mit dem Sänger beweist, und verantwortet die szenische Gestaltung des Abends.

Schuberts bzw. Wilhelm Müllers – von dem der zugrundeliegende Gedichtzyklus stammt – Müllerbursche ist eine romantische Seele im schwärzesten Sinne. Schmerzlich verliebt in die Tochter seines Meisters, die er kaum kennt und die ihn kaum wahrnimmt, verkraftet er, so die verbreitetste Lesart des Endes, nicht, dass sie einen anderen liebt, und ertränkt sich im Bach. Florian Boesch erläutert im Programmheft, warum er das anders und den Müllerburschen am Ende sowohl noch am Leben als auch endlich geläutert sieht. Der Text lässt diese Lesart sicherlich zu, und auch Schubert würde sich dagegen wohl nicht wehren müssen.

Die erprobte Franui-Methode, die Melodielinie der Originalstücke intakt zu belassen und so ziemlich den ganzen Rest neu zu setzen und zu instrumentieren – das Banda-Instrumentarium umfasst unter anderem Zither, Hackbrett und mehrere Blechblasinstrumente –, kommt bei dieser Produktion in sehr unterschiedlichem Maße zum Einsatz.

Die originale „Müllerin“-Klavierbegleitung tut weit mehr, als den Sänger melodisch zu stützen, wobei auch das vorkommt und in der Franui-Fassung nicht unterschlagen wird. Das Klavier bei Schubert füllt aber insgesamt eine sehr eigenständige Rolle aus; es personifiziert den Bach, der beinahe durchgehend in unterschiedlichen Zuständen neben der Singstimme wahrnehmbar ist. Der Nachteil – oder, neutraler formuliert, ein grundlegender Unterschied – bei der farbig und nuancenreich instrumentierten, aber im Vergleich eben auch viel klangopulenter daherkommenden Franui-Fassung ist, dass dieser Bach, obgleich seine Motivik mit verarbeitet wurde, nur selten deutlich zu hören ist. Und um ihn zu hören, muss man im Grunde wissen, dass er da ist.

Es ist ein anderes Stück, das hier gegeben wird: kein emotional an- und abschwellendes Duo aus Bursch und Gewässer, sondern ein in zahlreichen Klangfarben schillerndes, vielstimmiges, ins Irre tendierendes Gefühlsdurcheinander, das ziemlich bipolare Züge trägt. Die Stimmungsschwankungen des Verliebten, schon von Schubert effektvoll in Szene gesetzt, fallen in der Banda-Ästhetik, die von sanftem Begleitpulsieren einzelner Instrumente bis hin zu karnevalsartigem Tutti-Treiben alle Register zieht, noch drastischer aus.

Ein vielstimmiges, ins Irre tendierendes Durcheinander der Gefühle

Ein bisschen schade ist es, dass der Regisseur einen großen Kasten – unter anderem die Mühle symbolisierend – in die Mitte der Vorderbühne gestellt hat, hinter dem ein Teil des Orchesters den Publikumsblicken entzogen ist, als sei die Musik hier das weniger Wichtige. Auch lässt sich fragen, ob es eine gar so gute Idee war, den Sänger gleichzeitig den Puppenspieler geben zu lassen. Boesch macht seine Sache wirklich gut, aber natürlich muss das Steuern der Puppe ein wenig zu Lasten der sängerischen Präsenz gehen. Auf der anderen Seite überstrahlt die Präsenz des lebendigen Sängers immer noch jene des bleichen Bürschchens in seinen Armen bei weitem.

Diese Müllerburschenpuppe als eigentlichen Akteur des Dramas wahrzunehmen, ist daher auf Publikumsseite nicht einfach und erfordert etwas guten Willen. Aber wahrscheinlich ist das auch gar nicht so wichtig. Denn die Hauptsache ist doch letztlich die Musik.

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