: Wie eine sprachgewaltige Pausentaste
Sie singen „Komm, o Tod“, dazu zwitschern die Vögel. Das Gefängnistheater aufBruch spielt Schillers Räuber in der Wuhlheide
Von Katja Kollmann
Gleich hinterm Einlass steht das Mückenspray. Das ist lebensrettend im Jungfernheide-Dschungel. Genauso wichtig ist das Sitzkissen, das einen vor einer Gesäß-Komplettverhärtung bewahrt. Denn hart sind die Bänke in der Gustav-Böß-Freilichtbühne. Für ein kleines Zeitfenster werden sie der Stadtnatur entrissen.
Im Bühnenhalbrund stehen eine Brückenkonstruktion, ein Kreuz und ein paar Dutzend Maßkrüge. Sieben Wochen lang hat das Gefängnistheater aufBruch hier Schillers „Die Räuber“ geprobt. Ende Mai spielt endlich das Wetter mit, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten das Dickicht und die Vögel intonieren ein Vorspiel.
Franz Moor, die Kanaille, kommt als Trio, das stärkt die eigene Position. Matthias Blocher, Para Kiala und Michael (einige Mitwirkende möchten in der Besetzungsliste nur mit Vornamen genannt werden) werfen sich bei der Intrige gegen Bruder Karl die Bälle zu. Sie haben zünftige Lederhosen an und kommen dadurch noch fieser rüber. Karl legt auch als Räuberhauptmann in den Böhmischen Wäldern den gebügelten Mantel und das Seidentuch nicht ab. (Kostüme: Haemin Jung) Regisseur Peter Atanassow findet ein produktiv verwirrendes Bild für dessen Wandlung vom Grafensöhnchen zum Bürgerschreck: Zuerst lässt er ihn von Christian Krug spielen, der mit seiner kontrollierten Körperlichkeit und seinem gepflegten dunkelblonden Bart eine natürliche Seriösität vor sich her trägt, gegen die er als Räuberhauptmann ankämpfen muss. Plötzlich aber steckt Moussa in demselben Anzug, auch sein Bart ist gepflegt, aber kohlschwarz. Er gibt Karl Moor eine deutlich rauere Stimme und der ganze Energiehaushalt der Figur wandelt sich.
Schillers Sturm-und-Drang-Stück von einer sich gegen Staat und Gesellschaft radikalisierenden Gruppe von Gesetzlosen bietet sich geradezu an als Stoff für ein Theater-Projekt, das mit Gefangenen arbeitet. Und so hat aufBruch als zweite Produktion überhaupt 1997 „Die Räuber.Tegeler Mischung“ in der JVA Tegel auf die Bühne gebracht. Nach über 25 Jahren Theaterarbeit, inzwischen ist aufBruch aus der Berliner Theaterlandschaft nicht mehr wegzudenken, macht man sich mit einem Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner Bürgern an eine Neuinszenierung. Für eine sinnliche Annäherung an den Standort der Räuberbande, die Böhmischen Wälder, gibt es in Berlin keinen besseren Ort als diese aus dem Dornröschenschlaf gerissene Freilichtbühne.
Man riecht und spürt die Erde. Die Räuberbande trampelt auf ihr herum. Spiegelberg und Vater Moor liegen auf ihr. Mit dem Kopf nach unten. Beide haben einen Machtkampf verloren. Franz wird Burgherr und Karl bleibt unangefochten Räuberhauptmann.
Immer wieder läuft Franz die Treppe zur Plattform hinauf, um sich seiner Macht zu vergewissern. Aber auch Amalia, die auf Karl wartet und sich beherzt und tatkräftig gegen Franz’ Zudringlichkeiten wehrt, ist öfters oben. Die Räuber bleiben unten bei ihren Maßkrügen. Die von Atanassow eingestreuten Chorpassagen erscheinen in ihrer Beziehung zum Schillerschen Drama wie eine sprachgewaltige Pausentaste. Es ist eine akustische Wucht, die das gesamte Ensemble in den Abendhimmel schraubt, wenn alle Thomas Köcks „Eure Paläste sind leer“ zitieren. Und es berührt, wenn sie, nur begleitet von den Vögeln, den Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ anstimmen. Ein 500 Jahre alter Liedtext, ein fast 250 Jahre alter Dramentext, ein verwunschener Ort und Menschen, die mit jeder Faser ihres Körpers das alles, und somit sich und uns zum Leben erwecken: Das Komplettpaket gibt es noch einige Frühlingsabende lang. Unbedingt Mückenspray benutzen!
Wieder vom 1. bis 4. +7. 10. und 14. bis 16. Juni in der Wuhlheide. Mehr unter www.gefaengnistheater.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen