piwik no script img

Eine trostlose Erzählung

Verloren in den Wirren der Welt: Anja Behrens’Inszenierung von „Das letzte Feuer“ am Staatstheater Hannover verhebt sich mitunter an ihrer Bildsprache. Dem Ensemble aber gelingt es, Zärtlichkeit und Hoffnung aufzuzeigen, wo sie keiner vermutet hätte

Von Jens Fischer

Das wird angemessen ungemütlich. Schließlich geht es um Existenzielles, verhandelt in einem urbanen Irgendwo, heute. Ein sinnfälliger Spielplatz für die Verlorenheit in den Wirren der Welt ist Christian Albrechtsens kahle Bühne und sie bietet reichlich Platz: für kleine Geschichten großer Gefühle, aber auch für all die gewissensbissigen Auseinandersetzungsqualen bei Schuld- und Sinnfragen.

Nicht weniger als von Schicksal und Erlösung erzählen, das will die poetisch-lakonische Prosa der Autorin Dea Loher. Zusammengerauft auf Zeit, wie es in ihrem Stück „Das letzte Feuer“ heißt, schreiten nun acht in sich gekehrte Wesen an die Rampe. Ein Todesfall hat die kaschierten Bruchstellen ihres unerfüllten Lebens bloßgelegt und sie aus der Banalität des Alltags in schuldhafte Verstrickungen katalysiert, die es in gemeinsamer Rückschau aufzuklären und in Richtung Sühnemöglichkeiten zu analysieren gilt.

Regisseurin Anja Behrens entwickelt in Hannover modellhaft das Schuldpanorama einer vereinzelten Gesellschaft und lässt dabei mit schöner Selbstverständlichkeit die Figuren empathisch lebendig werden: als Verirrte, Suchende, sich erneut Verlierende.

Da trumpft gleich mal die von Terrorpanik adrenalisierte Polizistin Edna (Alrun Hofert) auf. Berichtet wird von ihrer Autoverfolgung eins möglichen Attentäters. Aber es handelt sich nur um den vollgekoksten Olaf (Max Koch), der einen ungefragt ausgeborgten Pkw zu Schrott fährt, während Edna einen auf die Straße rennenden Jungen überfährt. Zwar sind die beiden nicht verantwortlich an dem Todesfall – ebenso wenig wie Augenzeuge Rabe (Hajo Tuschy), Autobesitzerin Karoline (Miriam Maertens) und die Eltern des achtjährigen Edgar, Susanne und Ludwig (Birte Leest und Max Landgrebe); aber sie fühlen sich, als wären sie es doch, irgendwie. Entsprechende Bekenntnisse und Zuweisungen wechseln einander ab.

So düster die Situationen, so ästhetisch apart sehen sie aus. Die Regie arrangiert das Personal stets sehr hübsch im Raum und lässt es in wechselnden Koalitionen zuschauen, wenn ein, zwei oder drei Schauspieler aus der Gruppe heraustreten und für entscheidende Momente der Geschichte ihr Innerstes nach außen kehren. Jeder will jemand anderes sein als er ist oder einfach für immer verschwinden – klammert sich aber immer wieder in höchst physischen Interaktionen an einen Leidensgenossen.

Jeder will jemand anders sein als er ist oder einfach für immer verschwinden

Edna springt in haltloser Einsamkeit Olafs Freund Peter (Fabian Dott) an und fast um. Wenn Ludwig lustvoll an die Brust seiner Geliebten Karoline fasst, rinnt Blut durch seine Finger, um auf ihre ­Mastektomie zu verweisen. Allein gelassen muss Ludwig mit manischen Selbstumarmungen monologisieren.

Irgendwann versammeln sich alle um eine Badewanne und versuchen ihre Schuld abzuwaschen. Final kippt die Inszenierung vollends ins opernhafte Pathos. Da lässt die Regie Gott nicht länger tatenlos zusehen, sondern goldene Lianen herabschweben, gefolgt von einem Kletterfelsen: zwei Pfade gen Himmel. Die aber niemand nutzt, vielmehr wird beschrieben, wie sich Rabe, rasend vor Selbsthass und Verunsicherung, mit Benzin übergießt und anzündet – das letzte Feuer der Versehrten. Zu sehen ist es nicht, kitschig grellrot erglüht stattdessen die Szenerie. Behrens findet in der Bildsprache und inhaltlichen Auseinandersetzung keine anregend neuen Ansätze. Das Ensemble zeigt jedoch mehrfach in der vehement trostlosen Erzählung, was in diesen groß gedachten und tief verletzten Wesen an wundersam Zärtlichem und punktuell Hoffnungsvollem steckt.

Weitere Termine: Mi, 31. 5.; So, 18. 6, Schauspiel Hannover

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen