kritisch gesehen: die ukrainisch-deutsche ausstellung „hybrid war“ in hamburg: Vom Singsang der Überforderung
Den Krieg mit dem Finger wegwischen, das geht einfach. Nächstes Bild, nächster Reiz: Wir entscheiden, was wir sehen möchten und wie lange – auf dem Smartphone zumindest. Dabei forme die virtuelle Berichterstattung maßgeblich die Wahrnehmung des Kriegsgeschehens, sagt die Hamburger Künstlerin Dagmar Rauwald: „Bilder und Videos haben einen immersiven Effekt und lassen die Realität dadurch teilweise auch verschwimmen.“ In der von Rauwald kuratierten Gruppen-Ausstellung „Hybrid War“ befasst sie sich zusammen mit 14 ukrainischen und deutschen Künstler*innen mit den Auswirkungen eines Krieges, der, eben, auch im digitalen Raum geführt wird.
Fotos und Videos können die Realität dokumentieren, wo Worte sie verfälschen: Darauf macht die Ukrainerin Paula Lytovchenko in ihrer zweiteiligen Arbeit „Before and After“ aufmerksam. Wie in einem Vorher-Nachher-Bilderpaar zeigen zwei nebeneinander hängende Ölgemälde die gleiche Satelliten-Ansicht eines kleinen, ukrainischen Dorfes. Von der mit satten Grüntönen angedeuteten Landschaft auf dem einen ist auf dem anderen kaum noch etwas zu erkennen, stattdessen dunkle Krater – Beweise für die Kriegsverbrechen Russlands an der zivilen Infrastruktur, schreibt die Künstlerin.
Viele der ausgestellten Arbeiten thematisieren eher die Gefahr, dass die Realität im virtuellen Raum falsch abgebildet werde: Da ist von „Propaganda“, „Fake News“ und „Framing“ die Rede; die vermittelte Welt als Möglichkeit, gezielt auch falsche Narrative zu bilden.
Der diffizile Kampf zwischen Wahrheit und Lüge erfährt in der Installation des Hamburgers Lorenz Goldstein einen auditiven Höhepunkt: Von einem im Raum stehenden Etagenbett ist ein Flüstern zu vernehmen. Es sind Stimmen, die auf einen fiktiv dort Schlafenden einreden: harte Fakten zum einen, Desinformation zum anderen, ein Singsang der Überforderung, der an die mediale Überflutung durch Bilder, Videos und Meinungen im Netz erinnert.
Die Ausstellung wirkt allein durch die bloße Anzahl des Gezeigten erschlagend. Es ist anstrengend, sich mit dem Thema zu beschäftigen – und gerade nicht mal eben weiterwischen zu können. Klar wird: Der Krieg ist kein Spektakel, sondern eine Realität, die im virtuellen Raum selbst angreifbar ist. „Hybrid War“ verdeutlicht gekonnt, wieso ein kritischer Blick auf die Darstellung und Bildsprache unerlässlich bleibt –wohl nicht nur in diesen Gefilden.
Paul Weinheimer
Hybrid War: bis So, 14. 5., Hamburg, MOM Art Space, Valentinskamp 34a. Finissage/„Hybrid Panel“ (mit Künstler*innen aus Hamburg und Kiew): heute, 18 Uhr
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