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Archiv-Artikel

Bernhard Pörksen Lob des Lesers

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser von Kontext, einmal so richtig nachtschwarzen Pessimismus kennenlernen wollen, dann habe ich einen Tipp für Sie. Belauschen Sie doch einfach mal zwei Journalisten, die sich über die Zukunft der Branche unterhalten. Und ich garantiere Ihnen: so viel Niedergang war nie. Die Eurokrise? Die Implosion der Finanzmärkte? Die Kriegsgefahr im Nahen Osten? Die Untergangsfantasien, die Journalisten beim täglichen Smaltalk beiläufig vor der Kaffeemaschine austauschen, sind dem Tremolo globaler Schreckensnachrichten durchaus ebenbürtig. Die brancheninternen Horrornachrichten lauten: Verlust der lebenswichtigen Anzeigen, Übermacht der PR-Strategen, Dominanz der globalen Unterhaltungsindustrie.

Es fehlt, so geht die Klage, generell an Geld für investigative Geschichten und aufwendige Recherchen. Überall regieren die Controller, die MBA-Fuzzis und die Manager, die Redaktionen als Profitcenter organisieren wollen. Und ist es nicht wirklich furchtbar? Niemand hat bislang ein robustes Geschäftsmodell erfunden, das den Qualitätsjournalismus auch übermorgen noch zu tragen vermag. Und das liegt, by the way, ganz wesentlich an Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Denn Sie alle sind, so meint man, längst an die Gratiskultur des digitalen Zeitalters gewöhnt und wollen für hochwertige publizistische Angebote nicht mehr bezahlen.

Ob das alles so stimmt? Ich glaube inzwischen, der real existierende Journalismus hat sich lange schon in seine eigene Krise verliebt. Er pflegt seine Depressionen und verschärft die Konjunkturkrisen und Strukturkrisen der jüngeren Vergangenheit durch hausgemachte Selbstbewusstseins- und Kreativitätskrisen, eine Lust an der eigenen Apokalypse, die ihresgleichen sucht. Das Diskursmodell, dem man folgt, ist vermutlich der Psychoanalyse entlehnt: Erst die Vertiefung in das eigene Leid, erst die Exzesse der weinerlichen Selbstauflösung sollen eines fernen Tages die Rettung und die erneute Stabilität garantieren.

Über die Heilkraft dieses Diskursmodells kann man trefflich streiten, und ich persönlich meine eher, dass ein solches Vorgehen die eigene Kreativität und die Fähigkeit zum radikalen Neu- und Andersdenken gefährdet, die gerade heute so dringend nötig wäre – in einer Zeit des tatsächlich dramatischen Medienwandels, in einer Phase, in der Qualitätsmedien gleichzeitig totgeredet und in politischen Fensterreden für unverzichtbar erklärt werden.

Aber wie dem auch sei: es ist offensichtlich, liebe Leserinnen und Leser, dass Journalisten Ihre Hilfe brauchen, auch und gerade die kratzbürstigen, die unangenehm und überkritisch wirkenden Typen, die persönliche Loyalitäten unter Umständen blitzschnell aufkündigen und sich in ihre Themen und Enthüllungsvisionen so richtig hineinsteigern können. Gerade sie sind es auch, die in ihrer eigenen Lobbyarbeit blockiert sind, weil sie – paradox genug – das Vertrauen in diese Gesellschaft und in die Mächtigen am Leben erhalten, indem sie permanent misstrauisch sind, echte und manchmal auch bloß behauptete Skandale recherchieren, also professionell Ärger machen – und dabei doch von irgendetwas leben müssen.

Es ist manchmal wirklich schwer, sie zu mögen, das will ich sofort einräumen. Aber es reicht auch völlig hin, sie aufgrund höherer Einsicht zu unterstützen. Es genügt, ihnen die Aufmerksamkeit und die Mittel zu geben, die sie brauchen, um den Job zu machen, den sie manchmal nur für sich, aber in der Summe doch für uns alle tun. Die Botschaft, dass Sie es waren, liebe Leserinnen und Leser, die Kontext durch echtes eigenes Geld gerettet haben, sollte daher gehört werden. Sie ist bedeutsam, weil sie beweist, dass es Menschen gibt, die in der Gratiswüste des Internet bereit sind, für journalistische Qualität und publizistischen Idealismus zu zahlen.

Und es wäre natürlich wunderbar, wenn diese Botschaft, zumindest für einen langen Moment, zum Abbruch all der endlosen Krisengespräche in den Redaktionen der Republik führen würde, die niemandem helfen. Am allerwenigsten dem Journalismus selbst.

Bernhard Pörksen, 43, Medienprofessor in Tübingen. Dieser Tage erschien sein neues, gemeinsam mit Hanne Detel verfasstes Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“.