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Archiv-Artikel

Die Rettung des Champagner- roggens

AROMA Vier Apfelsorten im Super-markt? Lächerlich! Es gibt rund 2.000. Ein Verein will seltene Sorten erhalten – und echten Geschmack

„Alte Sorten heißt nicht, dass die alle 150 Jahre auf dem Buckel haben. Auch was vor 40, 50 Jahren gezüchtet wurde, ist oft wieder verschwunden“

CHRISTOF BLANK, SORTENRETTER

VON STEFFEN GRIMBERG

Das Ascherslebener Meisterwerk ist von schönster Schlichtheit und Eleganz. Trotzdem ist es in keinem kunsthistorischen Führer der Welt zu finden. Ein bisschen ungerecht bei seiner filigranen Pracht, andererseits auch verständlich: Das Ascherslebener Meisterwerk ist Kunst zum Aufessen, ein – derzeit noch – zartes Pflänzchen, das mal Stangenbohne werden will.

„Das ist eine alte Landsorte wie der Altmärker Braunkohl oder der Berliner Aal, hinter dem sich übrigens kein Fisch, sondern eine Gurkenart verbirgt“, sagt Christof Blank und schreitet voran, quer über den Schaugarten des Vern, des Vereins für die Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen.

Der Schaugarten des Vern liegt in der brandenburgischen Uckermark, im schmucken Städtchen Greiffenberg, das immer noch ein bisschen damit hadert, dass es seit 2003 keine Stadt mehr ist, sondern nach Angermünde eingemeindet wurde. Und jetzt sollen überall in der Uckermark auch noch Windräder gebaut werden. Mit denen haben sie’s in Greiffenberg nicht so: „Kein Windrad in Greiffenberg“ steht an so einigen Häusern und Gehöften.

Blank führt weiter übers Gelände und schwärmt von dem vor rund 120 Jahren in Deutschland eingebürgerten Champagnerroggen, dem der Vern zu neuem Leben verholfen hat. Der bis zu zweieinhalb Meter hohe langstrohige Winterroggen darf nun wieder angebaut werden in Deutschland, und sogar ganz normale Bäckereien backen wieder Brot daraus.

Mit dem Anbauen ist das so eine Sache in Deutschland, wo im klassischen Supermarkthandel noch ganze 4 von rund 2.000 Apfelsorten vorkommen, die alle irgendwie seltsam parfümiert schmecken. „Alte Sorten heißt nicht, dass die alle 150 Jahre auf dem Buckel haben. Auch was vor 40, 50 Jahren gezüchtet wurde, ist heute oft wieder verschwunden“, sagt Blank. „Wir wollen diese Sorten wieder in Nutzung bringen, um die Vielfalt zu erhalten.“ Denn man kann noch so viel „Erhaltungsarbeit“ im Schaugarten leisten: „Wenn die Pflanzen nicht weiter genutzt werden, bringt das wenig.“

Gerade zu Beginn der Freilandpflanzsaison gibt es Tomaten. Rund 70 von den 220 beim Vern weiter kultivierten, oft alten Sorten stehen dicht an dicht in den zwei großen Pflanzzelten und werden gegen kleines Geld in gute Hände gegeben.

Bewahren durch aufessen – gibt es Schöneres? Schließlich hat man es nicht nur mit lustigen Namen, sondern auch mit Geschmacksvielfalt zu tun. Der Vern-Ansatz liegt im Trend. „Das ist kein Hype, kein Strohfeuer, das schnell wieder zusammenfällt“, meint Blank. „Der Durchbruch ist da.“ Das hört sich kühn an, ist aber in einer Zeit, in der sich die Landlust besser verkauft als der Spiegel, von bezwingender Logik. Von der Lust am Landleben profitiert auch der 1996 gegründete Verein. 2011 konnte man dank großzügiger Spenden Garten und Gebäude in Greiffenberg kaufen. Ganz hat’s allerdings nicht gereicht, weshalb der Vern noch an einem Kredit kaut und sich über die zwei Cent freut, die die Bio Company für jede verkaufte ökologisch korrekte Plastiktüte sponsert.

Heute führen die alten Landsorten nicht mehr ganz so ein Schattendasein wie früher – auch wenn sie die Kriterien vom Bundessortenamt nicht erfüllen. Die dem Landwirtschaftsministerium unterstellte Behörde regelt, was in Deutschland kommerziell angebaut werden darf – und damit auch, was auf den Teller kommt. Der Ansatz des Sortenamts lässt sich noch immer ganz sportlich als „schneller, höher, weiter“ umschreiben: mehr Ertrag, bessere Lager- und Transportfähigkeit, weniger Anfälligkeit für Käfer, Fäulnis und Krankheiten. Die dahinterstehende Tonnenideologie atmet noch ein bisschen Dreißigerjahreluft, Reichsnährstand und Autarkie-durch-Kartoffeln.

„Allerdings bedeutet das auch Sicherheit für Landwirte und Gemüsebauern“, sagt Rudolf Fögel, der beim Brandenburger Landesamt für Umwelt für Agrobiodiversität zuständig und auch im Vern-Vorstand ist. Sicherheit, dass das Zeug wächst, egal wo sie in Deutschland säen, dass es durch die Republik gekarrt werden kann und dass beim Salat die natürlichen Zerfallszeiten für den Supermarkt außer Kraft gesetzt werden. Dass man dabei völlig den Geschmack vergessen hat – geschenkt. Aroma lässt sich der Industrieerdbeere zur Not schon wieder anzüchten.

Die meisten alten Sorten sind den Kriterien des Sortenamts schlicht nicht gewachsen, hatten auf der Bundessortenliste also nichts zu suchen. Schluss mit Anbau, weg vom Fenster! Soll sich doch der aufrechte Kleingärtner darum kümmern, wenn er will.

Hatten, wie gesagt: Denn auf europäischer Ebene hat sich etwas getan, und nun gibt es eine neue Kategorie für Gemüse, Getreide, Kartoffeln und Futtersaaten: die „Erhaltungssorte“, die für die Arbeit des Vern von zentraler Bedeutung ist. Alte Sorten können nicht mehr nur noch von Hobbygärtnern erhalten werden, sondern auch angebaut und ganz offiziell verkauft werden. „Anonym handelbar“ heißt so was im Amtsdeutsch. Der Champagnerroggen, der nicht etwa so heißt, weil er mit dem schönsten Perlwein der Welt verwandt ist, sondern wie dieser ursprünglich aus der Champagne stammt, hat die Anerkennung schon hinter sich. Allerdings müssen beim Bundessortenamt pro Anmeldung und Sorte 60 Euro für die Bewertung und Registrierung gezahlt werden. „Weil der Schäuble so geldgierig ist“, sagt Fögel. Ursprünglich sei von weniger als der Hälfte die Rede gewesen.

Das heißt für den Vern: Wenn er alle von ihm gehegten 2.000 Sorten registrieren lassen wollte, wären dafür 120.000 Euro fällig. Dafür ließe sich in Greiffenberg sicher schon was Schönes bauen. Muss ja nicht gleich ein Windrad sein.

Am Sonntag können Berlin-Brandenburger viele alte Nutzpflanzen beim 3. Tag der Sortenvielfalt im Forstbotanischen Garten in Eberswalde kennenlernen. Auch der Vern wird vertreten sein