Krimi-Serie auf RTL +: Wie man es auch wendet

In „Zwei Seiten des Abgrunds“ trifft eine Mutter auf den Mörder ihrer Tochter. Das hat Potential – leider aber strotzt die Serie nur so von Klischees.

Luise (Anne Ratte-Polle) spricht Dennis (Anton Dreger) in der Schwebebahn an

Luise (Anne Ratte-Polle) spricht Dennis (Anton Dreger) in der Schwebebahn an Foto: Hohes Venn/RTL/ Warner TV Serie

Dass deutsche Serien auch im Ausland ihr Publikum finden, ist ein noch eher junges Phänomen. „Dark“ wurde weltweit zum Hit, „Deutschland 83“ kam in den USA sogar deutlich besser an als bei uns, und sogar die zweite Staffel von „Para – Wir sind King“ ist schon beim US-Streamer HBO Max zu sehen. Dort läuft nun auch „Zwei Seiten des Abgrunds“ an, zeitgleich zum Start in Deutschland, der wiederum parallel auf RTL+ im Streaming und Warner TV-Serie im Pay-TV stattfindet. Eine Free-TV-Ausstrahlung bei Vox folgt in Kürze ebenfalls. Ziemlich viel Aufmerksamkeit also für eine Serie, die sich dann leider doch als reichlich enttäuschend entpuppt.

Kern der sechs Episoden ist wie so oft, wenn es um Thrillerspannung geht, der Mord an einer jungen Frau. Rund sieben Jahre ist Teenager Merle (Josephine Thiesen) inzwischen tot, als ihre Mutter, die Polizeibeamtin Luise Berg (Anne Ratte-Polle), bei einem Routineeinsatz im Baumarkt zufällig den Täter wiedersieht. Dennis (Anton Dreger), damals ein schwer übergewichtiger, kaum sprechender junger Mann mit psychischen Problemen, wurde ohne ihr Wissen vorzeitig aus der Haft entlassen.

Vom Ex-Ehemann über den Vorgesetzten bis zur Polizeipsychologin scheinen sich alle sicher zu sein, dass er als resozialisiert gilt und nicht nur äußerlich eine echte Wandlung durchgemacht hat. Dass Luise ihm dagegen finstere Rachepläne unterstellt, tun sie als panische Überreaktion ab; selbst zwei Morde geschehen, die sich ohne Weiteres mit ihm in Verbindung bringen lassen. Auf eigene Faust beginnt sie zu ermitteln, doch dass Dennis sich auch unerkannt in das Leben ihrer jüngeren, inzwischen ebenfalls 17-jährigen Tochter Josi (Lea van Acken) zu drängen beginnt, bleibt lange unbemerkt.

Vielleicht auch, um einem internationalen Publikum etwas fürs Auge zu bieten, spielt „Zwei Seiten des Abgrunds“ in Wuppertal. Neben der immer wieder pittoresk durchs Bild gleitenden Schwebebahn setzt die von Kristin Derfler erdachte und von Anno Saul inszenierte Serie thematisch allerdings auf starken Tobak. Wer trägt die Verantwortung für die aus der Bahn geratenen Lebenswege? Wie unterschiedlich kommen Schuldgefühle zutage, die mit aller Macht unterdrückt werden sollen? Und wie dicht liegen Ursache und Wirkung beieinander, wenn es um Trauma geht?

Schlecht erzählt

So weit, so spannend, doch leider wird hier so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Was schon damit anfängt, dass man einen kleinen Ausblick aufs Finale gleich zu Beginn und dauernde, in der Farbgebung überdeutlich markierte Rückblenden für interessantes Erzählen hält. Dabei ist ebendiese Struktur längst zum narrativen Klischee verkommen, wie es in „Zwei Seiten des Abgrunds“ überhaupt nur so strotzt vor abgenutzten, plumpen Stereotypen: nicht zuletzt in der Darstellung von Gewalt gegen Frauen, Pädophilie oder – denn auch die kommen hier noch ins Spiel – brutalen Faschogangstern, die, nachdem sie sich in Russland schwer bewaffnet haben, auf den Endkampf vorbereiten wollen.

Selbst in der Handlung, im Verhalten der Figuren und in den Dialogen ist es leider mit der Glaubwürdigkeit selten weit her. Die Schau­spie­le­r*in­nen stehen vor unlösbaren Aufgaben. Anne Ratte-Polle, zu deren Stärken sonst die Subtilität gehört, muss als gebrochene Polizistin, die zu Hause kaum mehr als ranzige Erdnüsse im Schrank hat und Nähe nur noch bei anonymen Sexdates zulassen kann, in einer Tour mit den Augen rollen und Trauer als Variante von Irrsinn ausdrücken.

Noch schlimmer trifft es vor allem den thea­ter­er­prob­ten Newcomer Anton Dreger: Während auf der Gegenwartsebene in erster Linie starre Blicke und ein gelegentlich dia­bo­li­scher Tonfall angesagt sind, wird er in den Rückblenden nicht zuletzt mittels eines hochnotpeinlichen Fatsuits und einer fettigen Langhaarperücke zur mehr als fragwürdigen Karikatur eines verhaltensauffälligen Heimkinds mit psychologischen Problemen.

Am besten schlägt sich in diesem Debakel noch Lea van Acken, wobei die 24-Jährige für die Rolle einer reichlich irrationalen Schülerin (die noch dazu seltsam häufig Taxi fährt) inzwischen denn doch erkennbar zu alt ist. Wie man es also auch dreht und wendet: Um weltweit die Qualitätsfahne deutscher Serienproduktionen hochzuhalten, ist „Zwei Seiten des Abgrunds“ denkbar schlecht geeignet.

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