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Archiv-Artikel

Schwarz-Gelb geht die Kohle aus

CDU und FDP haben den mittelfristigen Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau beschlossen. Bis zum Jahr 2010 sollen die Subventionen um 750 Milliarden Euro zurückgefahren werden. Über die Hälfte der knapp 35.000 Arbeitsplätze fallen weg. Wie wird die Nachricht an Rhein und Ruhr aufgenommen? Die taz bat Experten und Betroffene um Stellungnahmen

Folgen sind katastrophal

„Die Entscheidung von Schwarz-Gelb ist eine Katastrophe für die Bergleute und für die ganze Region. 35.000 Arbeitsplätze im Bergbau und bis 60.000 in den Mantelbereichen stehen auf dem Spiel. Wir befürchten, dass die Schließung des Bergwerks Walsum statt im Jahr 2009, früher vollzogen wird. Die neue Landesregierung ist angetreten, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ihr erster Beschluss ist es, massive Kündigungen vorzunehmen. 16.000 Plätze sollen im Jahr 2012 übrig bleiben. Es wird nicht ohne betriebsbedingte Kündigungen ablaufen, dafür sind die Einschnitte zu groß. Dabei wurden die Subventionen in den letzten Jahren um 70 Prozent runtergefahren, so viel wie in keiner anderen Branche. Ich glaube, dass es eine Retourkutsche der neuen Landesregierung ist. Das ist eine rein politische Entscheidung. Die haben gemerkt, dass sie im Ruhrgebiet nicht genug Stimmen bekommen haben und wollen sich nun rächen. Das schlimmste ist, dass CDU und FDP so tun, als hätten sie auch schon die Bundestagswahl gewonnen. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen im Revier jetzt merken, was Schwarz-Gelb vor hat.“

(Michael Hörning ist Betriebsratsvorsitzender Bergwerk Walsum. Das Bergwerk soll nach einem Beschluss der Bundesregierung bis spätestens zum Jahr 2009 geschlossen werden.)

Chancen für die Region

„Der langsame Ausstieg aus der Steinkohle bietet Chancen für die Region. Die Regierung darf nur nicht den Fehler machen, die Beschäftigten bloß sozialverträglich aufzufangen, sie muss Ersatz schaffen. Ein wichtiger Punkt wird dabei der geplante Börsengang der RAG sein. Der Konzern kann neues Kapital anhäufen. Die hochqualifizierten Bergleute können in neue Jobs übernommen werden. Die RAG hat ein sehr gutes Ausbildungssystem. Wenn die RAG einfach verscherbelt wird, hat man kurzfristig zwar Geld zur Verfügung, mittelfristig wird es nichts bringen. Auch wird es wichtig sein, die geplanten Einsparungen wieder in die Region zu investieren. Dabei kann es nicht darum gehen, wie es der künftige FDP-Innovationsminister Andreas Pinkwart fordert, in die Forschung zu investieren. Arbeitsplätze entstehen selten da, wo geforscht wird. Er soll das Wort Innovation in seinem Titel ernst nehmen und dafür sorgen, dass neue innovative Industrien sich im Ruhrgebiet ansiedeln.“

(Franz Lehner ist Präsident des Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik)

Warnung vor völligem Abbau

„Die Entscheidung ist in Ordnung, auch wenn ich das Tempo etwas moderater angesetzt hätte. Die CDU hat das Ziel des Ausstiegs relativ weich formuliert, die FDP hätte auch vor betriebsbedingten Kündigungen nicht halt gemacht. Der Ruhrgebietsbergbau sollte erhalten bleiben. Wir sind auf dem Gebiet der Bergbautechnik marktführend. Dazu brauchen wir Experimentierfelder. Die jährliche Kohleförderung sollte die Menge von 10 Millionen Tonnen nicht unterschreiten, zumal wir nicht wissen, wie sich der Kohlepreis auf dem Weltmarkt entwickelt. Kokskohle wird in der Zukunft wichtiger und wir können sie anbieten. Ein totaler Ausstieg nach englischem Vorbild wäre nicht zu finanzieren, zumal auch die sozialen Konflikte zunehmen würden. In den Regionen wo die Zechen geschlossen werden droht eine Verslummung. Auf jeden verlorenen Arbeitsplatz im Bergwerk kommt ein weiterer drauf. Das eingesparte Geld muss in der Region bleiben, auch wenn 750 Millionen Euro nicht reichen werden, die Bergleute aufzufangen.“

(Klaus Tenfelde ist Sozialhistoriker mit dem Forschungsschwerpunkt Ruhrgebiet. Er ist außerdem Geschäftsführender Leiter des Instituts für soziale Bewegungen an der Ruhruniversität Bochum)

Mit dem Erreichten zufrieden

„Die Subventionen müssen zurückgefahren werden. Wir sind da mit dem Erreichten eigentlich zufrieden. Das Ganze kommt nicht überraschend, wenn man in den letzten Tagen auch zwischen den Zeilen gelesen hat, was RAG-Chef Werner Müller betrifft. Er hatte der Landesregierung ein Entgegenkommen signalisiert. Erfreut sind wir darüber, dass die Landesregierung bei Walsum Wort halten will und unseren Kampf gegen den Abbau unter dem Rhein weiter unterstützen will und eine frühere Schließung der Zeche mit zu begleiten. Man muss in der Region jetzt aber auch an die Bergleute denken. Ich habe schon früher für einen Beschäftigungspakt von Bergbau und EU-Kommission plädiert. Es muss auch möglich sein, dass die Gruppen vor Ort nach der Schließung wieder zusammenkommen und nicht Gräben entstehen, die man nicht wieder zuschütten kann.“

(Klaus Friedrichs ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Bergbaubetroffener in Walsum. Die Initiative kämpft gegen den geplanten Kohleabbau unter dem Rhein)

HOLGER PAULER