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Zeitspiel

Tennisprofi Alexander Zverev hat sich noch immer nicht von seiner Verletzung erholt. Kann er dem ständig steigenden Konkurrenzdruck noch standhalten?

Von Jörg Allmeroth

Alexander Zverev wirkte nicht besonders unglücklich, als er im letzten Jahr den Siegerzeremonien des Madrid-Masters beiwohnte. Der deutsche Olympiasieger im Tennis hatte gerade zum ersten Mal die Kraft und Dynamik eines neuen großen Rivalen zu spüren bekommen, des spanischen Teenagers Carlos Alcaraz. Der junge Muskelprotz hatte Zverev im Endspiel 6:3 und 6:1 abgefertigt, aber der Verlierer ging dennoch mit Optimismus in den Rest der Sandplatzsaison. „Ich traue mir zu, auch noch was ganz Großes zu gewinnen“, sagte Zverev. Was er meinte, war klar: Die French Open, der Höhepunkt der jährlichen Rutschübungen auf der Tennistour.

Wenn der Profitross in dieser Woche nun erneut in Spaniens Kapitale gastiert, findet sich Zverev in einer anderen Welt wieder. Anders als vor zwölf Monaten ist der 26-jährige Hamburger kein Spieler der absolut engsten Spitze seines Sports mehr, kein automatischer Kandidat für alle möglichen Titel, kein Akteur, der sich mit großem Selbstbewusstsein alles zutrauen darf. Zverev, der sich im Roland-Garros-Halbfinale 2022 gegen Rafael Nadal schwer verletzte und mit sieben Bänderrissen im rechten Fuß ein halbes Jahr pausieren musste, ist weiterhin ein Suchender.

Er ist ein Mann, der um Konstanz und Stabilität ringt. Und der sich schwertut, mit öffentlichen und eigenen Erwartungen umzugehen. Gerade musste der zweimalige ATP-Weltmeister einen herben Rückschlag auf Münchner Terrain hinnehmen. Nach seiner Auftaktniederlage gegen den Australier Chris O’Connell sprach Zverev davon, er komme vor heimischem Publikum „schon länger nicht mit dem Druck klar. Ich bin unfassbar nervös.“

Als Zverev vor zehn Monaten in der Vorschlussrunde der French Open Nadal Auge in Auge gegenüberstand, war er nur noch zwei Siege von der Erfüllung großer Träume entfernt. Hätte er gegen Nadal gewonnen, wäre er die Nummer eins der Weltrangliste geworden. Im Finale hätte der Norweger Ruud gewartet, Zverev wäre der hohe Favorit und Titelkandidat gewesen. Viele Wenns und Abers, bohrende Gedanken. So einfach verdrängen kann Zverev den Schicksalsschlag seiner Verletzung bis heute nicht, die unglücklich verpassten Chancen. Er denke „fast jeden Tag daran“, sagt er. Und nun wieder umso mehr, da die Tenniskarawane aufs Neue dem Ortstermin Paris zusteuert. Mit aktuellem Zwischenstopp Madrid.

Zverev ist gegenwärtig die Nummer 16 der Weltrangliste. Eine Platzierung, die ein realistisches Abbild seines Ist-Status und seiner Möglichkeiten ist. Er ist schon wieder recht nah an die kleine Elitegruppe der Top­leute herangerückt, ohne bereits deren Matchhärte und Durchsetzungsstärke zu haben. Zverevs Schwierigkeit liegt darin, das für ihn Machbare zu akzeptieren und den eigenen Ehrgeiz und die Ungeduld zu kontrollieren. Leicht ist seine Aufgabe nicht, denn in den letzten Monaten haben viele jüngere, ambitionierte Konkurrenten einen großen Sprung nach vorn gemacht. Nicht zuletzt auch der hitzköpfige Däne Holger Rune, der soeben in München seinen Titel verteidigte. Gegen Rune hatte Zverev, noch im Vollbesitz seiner Kräfte, 2022 in der Münchner Auftaktrunde verloren. Allerdings rückte Zverev hinterher in Madrid bis ins Finale vor.

Madrid ist ein Schauplatz, an dem sich Zverev durchaus wohlfühlt. Hier tankte er in jungen Jahren schon Zuversicht, als er 2018 einen seiner ersten großen Titel gewann und die Saison als ATP-Weltmeister in London beschloss. 2021 wiederholte er dieses Kunststück, auf dem Weg zum Pokalcoup in Madrid distanzierte er im Viertelfinale Großmeister Nadal klar mit 6:4, 6:4. In jener Paradesaison kam zu fünf Tourtiteln noch der Olympiasieg obendrauf. So zuverlässig und anhaltend gut spielte Zverev noch nie. Eigentlich stoppte ihn auf dem Weg zur Nummer eins, zum Gipfelglück, erst der böse Ausrutscher von Paris.

„Er braucht unbedingt ein Turnier, bei dem er ins Finale kommt“

Tommy Haas, Ex-Profi

Alexander Zverev hat noch genügend Zeit, wieder ganz der Spieler jener gar nicht lang zurückliegenden Tage zu werden. Aber man weiß letztlich nie. Und erinnert sich etwa an Sisyphus Tommy Haas, der auch immer und immer wieder drauf und dran war, den ganz großen Triumph zu schaffen. Bevor er von hartnäckigem Verletzungspech und neuen Machtfiguren ausgebremst wurde. Haas übrigens findet, Zverev müsse aggressiver, vorwärtsorientierter spielen und denken: „Er braucht jetzt unbedingt mal ein Turnier, bei dem er ins Finale kommt oder gewinnt.“

Aber Tommy Haas weiß aus eigener Erfahrung auch dies: „Die Zeit rennt dahin. Wenn man sieht, wer da nachkommt an Talenten, stellt man fest, dass es nicht einfacher wird für Sascha.“

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