berliner szenen: Vertrauen am Morgen
Montagmorgen, die Sonne scheint durch die fleckigen Fensterscheiben eines Cafés in Neukölln. Die Stimmung ist verschlafen und „sehr cool“, man hört nur die gehauchten Flat-White-Bestellungen englisch sprechender Gestalten und das Pfeifen der Kaffeemaschine. Die einen schon mit der zweiten Tasse an ihren Laptops, die anderen noch gar nicht im Bett gewesen. Ich selbst wortkarg.
Mir gegenüber erzählt meine Freundin Mitte 20 mit Augenringen von letzter Nacht. Sie war schon lange nicht mehr feiern gewesen und hat es so vermisst, ihre Augen leuchten. So weit, so Berlin. Aus den Augenwinkeln nehme ich vage einen Mann wahr, der am Zuckertisch neben der Theke mit Platzmangel und Kaffee zu kämpfen hat.
Plötzlich steht er direkt vor mir und sagt laut „So geht das hier nicht, da, halt mal“ und legt mir, ohne eine Antwort abzuwarten, sein schlafendes Baby in den Schoß. So klein, wie es ist, hatte ich es übersehen. Mit nun freien Händen kehrt der Mann entspannt zu seinem Kaffeebecher zurück, und in meinem unbeholfenen Arm liegt ein kleiner Wurm mit Schluckauf in der Sonne. Flaum auf dem Kopf, winzige Finger, sehen kann es mich bestimmt noch nicht.
Wer wir alle für dieses Baby sind? Für einen kurzen Moment ist die verstrahlte Rauheit weg, die Welt voller Vertrauen, in der Fremde ihre schlafenden Neugeborenen in die Arme irgendwelcher schlaftrunkener Partygänger*innen legen für Kaffee mit Milch und Zucker. „Ach, sieht gemütlich aus, dann würde ich jetzt noch eine rauchen gehen“, sagt das junge Elternteil im Scherz und deutet nach draußen. Verdrehte Rollen. Wir lachen, dann nimmt er den Säugling aber doch wieder mit.
Wir bleiben kurz still sitzen und schauen uns noch mal neu um im Raum, der jetzt irgendwie anders ist. Amelie Sittenauer
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