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Not und Hoffnung

Im Dialog mit Maria und Christus: Künst­le­ri:­in­nen aus der Ukraine arbeiten mit christlichen Motiven in Zeitendes Krieges. Das Bode-Museum hat die kleinen Werke mit der Ausstellung „Timeless“ in seine Säle geholt

Von Katrin Bettina Müller

Auf einem Esel reitet Christus zu der Tür, durch die man im Bode-Museum den großen Saal 107 betritt. Die Vergoldungen strahlen an den Altären der Spätgotik aus Deutschland. Ein Märtyrer steckt in einem Kessel, die Hlg. Katharina wird enthauptet. Die christliche Kunst spart nicht an Drama und nicht an Schönheit.

Eine der Figuren im Raum ist eine Schutzmantelmadonna von Michel Erhart (1469–1522). Ihr Kleid ist golden, ihr Mantel blau und unter seinen geöffneten Falten stehen und knien betende Frauen und Männer, die um den Schutz der Madonna bitten.

Mit dieser Madonna treten nun zwei neuere Kunstwerke aus der Ukraine in den Dialog, beides Digitaldrucke. Von Oleg Gryshchenko stammt die „Schutzmantelmaria der Streitkräfte der Ukraine“. Der Künstler knüpft dabei an die Tradition der ukrainischen Kosaken an, die die Muttergottes als Beschützerin vor Feinden ansahen. Im schwarzen Bildgrund fahren helle Linien auf die geschlossene Kontur der Figur zu, prallen an ihr ab und bilden kleine Explosionen. Die zweite Madonna im Schutzmantel von Alla Sorochan, die schon 2015 entstand, gilt der Freiwilligenbewegung, die sich seit 2014 um das Leben von Militärangehörigen kümmert. Der Mantel ist hier aufgelöst in ein Raster, das einerseits an ein Tarnnetz erinnert, aber auch Buchstaben bildet, die auf die Bewegung hinweisen.

Die beiden Werke gehören zu einem Projekt, „Timeless. Contemporary Ukrainian Art in Times of War“, das die Kuratoin Olesia Sobkovych initiert hat. Sie ist eigentlich Kuratorin am Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg in Kyjiw. Wegen des Kriegs geflüchtet, konnte sie als Stipendiatin der Ernst von Siemens Kunststifung an das Bode-Museum vermittelt werden, um dort zu arbeiten. Sie hat eine Reihe von ukrainischen Künst­le­r:in­nen ausgesucht, deren Werke, meist kleine Bilder, jetzt mit den antiken und sakralen Skulpturen des Bode-Museums in Dialog treten.

In Zeiten der Not, der Trauer, des Leidens und der durch die russische Invasion bedingten Traumata wird der Bezug auf die christliche Ikonografie für die Künst­le­r:in­nen der Ukraine ein Instrument, um mit dem Leben im Krieg umzugehen. So vermittelt es Olesia Sobkovych beim Rundgang durch das Museum und in den Texten, die zu den ukrainischen Künstlern ausliegen. Den Mut zu finden, um zu kämpfen, die eigene Furcht zu überwinden und sich selbst mit der Geschichte verbunden zu fühlen: All dem helfen die Kunstwerke auf den Weg. Mit ihnen, so glaubt es Sobkovych, geschieht auch etwas in der Realität: Sie verändern die Perspektive, helfen Hoffnung zu finden.

Maryna Solomennykova ist eine Illustratorin aus der Stadt Dnipro. Sie war berührt von der Fotografie einer jungen Frau, die in Kyjiw vor den Angriffen in die Metro geflüchtet war und dort ihr Kind stillte. In ihrer Bearbeitung des Motivs zeigt Solomennykova einen Metroplan hinter der Mutter und umgibt sie mit einer goldenen Aureole, die wie ein Heiligenschein wirkt. Das Bild hat neben einer Grabstele aus dem 4. Jahrhundert seinen Platz gefunden, auf der die Zeichnung einer stillenden Frau in den Stein eingraviert ist.

Weitere Motive sind der Verlust der Kindheit, die Flucht, aber auch der Mut des Helden, die im Nebeneinander der Werke des Museums und der ukrainischen Künstler entwickelt werden. Im Museum selbst bezeugen zwei Schildträger von Tullio Lombardo (um 1495) Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Sie sind jetzt als Fragmente ausgestellt, mit Bruchstellen und fehlenden Gliedern, verletzte Steine, die das verletzte Leben ahnen lassen. Neben ihnen ist eine Zeichnung mit weißem Stift auf schwarzem Grund ausgestellt, von Matvei Vaisberg, die schon versehrte und unvollständige Körper zeigt, die dennoch weiter kämpfen.

Die Vertrautheit mit den christlichen Bildern kann existenziell sein

Mit einer einfachen Bildsprache zu arbeiten, die an Bekanntes anknüpft, sei den ukrainischen Künst­le­r:in­nen ein großes Anliegen, sagt die Kuratorin. Sie weist in dem volkstümlichen Bild „Die Flucht nach Ägypten“ von Alisa Lozhkina auf die Wyschywanka hin, in die das Kind in den Armen der Frau gekleidet ist. Die Stickereien auf der Bluse haben eine lange Tradition, in der sie auch als schützender Talisman gelesen werden. Viele Mütter, die mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen sind, nahmen in dem wenigen Gepäck die Wyschywankas der Kinder mit.

Für das Bode-Museum, das in verschiedenen Vermittlungsprojekten immer wieder nach Antworten auf die Frage sucht, was die sakralen Kunstschätze mit uns, mit der Gegenwart zu tun haben, ist das Projekt „Timeless“ ein Beleg, dass die Vertrautheit mit den christlichen Bildern existenziell sein kann. Zudem können sie mit der Ausstellung, die aus dem Krieg kommt, eine Geste der Solidarität mit der Ukraine üben.

Doch so sehr das Bedürfnis der ukrainischen Künst­le­r:in­nen nachzuvollziehen ist, im Bezug auf die christlichen Motive Trost und Hoffnung zu finden, etwas Distanz lässt sich dabei schon vermissen. Denn es wird völlig ausgeblendet, dass diese christliche Bildsprache in vielen Kriegen auch von den Angreifern genutzt wurde. Sie hat in der Geschichte oft Instrumentalisierungen von diktatorischen Systemen erfahren, die ihren imperialen Eroberungsdrang christlich kaschierten, wie etwa in den Kreuzzügen. Diese Seite zu thematisieren, fehlt in der Ausstellung völlig.

„Timeless. Contemporary Ukrainian Art in Times of War““, Bode-Museum, Di.–So. 10–18 Uhr

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