Ungleiche Kollegen

Zwei norddeutsche Maler, einer NS-verstrickt und darüber später ziemlich unaufrichtig, einer ideologisch einwandfrei: Die Kunsthalle Emden stellt Emil Nolde und Christian Rohlfs nebeneinander

Emil Nolde: „Dampfer auf dem Meer“ (1938/1945) Foto: Kunsthalle Emden © Nolde Stiftung Seebüll

Von Jens Fischer

Die Emder Kunsthalle will etwas. Darauf deutet in der laufenden Ausstellung zu den norddeutschen Künstlern und Freunden Emil Nolde und Christian ­Rohlfs schon ein ungewöhnlich hoher Textplakate-Anteil an den Wänden hin. Der auch notwendig erscheint, denn das Sujet ist sozusagen kontaminiert: 2014 in Frankfurt und 2019 in Berlin thematisierten zwei Ausstellungen, dazu umfangreiches Begleitmaterial, was Kunst­his­to­ri­ke­r:in­nen und die nachlassverwaltende Nolde-Stiftung in Seebüll lange Zeit zu verschweigen, zu vertuschen versucht hatten. Dass nämlich der expressionistische Großmaler Nolde, nach seinem Tod 1956 zum Staatskünstler der Bundesrepublik aufgestiegen, Nationalsozialist war, Rassist, Antisemit, Denunziant, Hitler-Bewunderer.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ daraufhin Nolde-Werke aus ihrem Amtssitz entfernen. Sind öffentliche Präsentationen dieser und anderer Gemälde nun nur noch mit der Warnung „Achtung Nazi-Kunst“ möglich? Oder ist es die Kunst eines Nazis, die Kommentierungen und Einordnungen sowie ein ausführliches Rahmenprogramm benötigt?

Jedenfalls fühlt sich die Kunsthalle Emden herausgefordert. Denn in ihrer Sammlung finden sich reichlich Nolde-Bilder, die nicht auf ewig im Giftschrank verschwinden sollen. Also geht das Haus in die Offensive und stellt aus – um das Werk zu retten vor dem ruinierten Ruf des Künstlers selbst. „Nolde/Rohlfs – Zwei Künstlerleben“ stellt Arbeiten der beiden norddeutschen Maler gegenüber. Von beiden wurden einst Bilder als „Entartete Kunst“ diffamiert und aus deutschen Museen entfernt.

Das hielt Nolde für ein Missverständnis, hatte er sich der NS-Kulturpolitik doch immer angedient, um den „starken, herben, innigen“ Expressionismus als deutsche Staatskunst dem lieblichen Impressionismus aus Frankreich entgegenzusetzen, ja, als Ausdruck eines NSDAP-Staates zu nutzen.

Für Rohlfs war die politische Entwicklung eher eine traurige Folge des gewandelten Zeitgeistes. Die Aufforderung, die Preußische Akademie der Künste zu verlassen, beantwortete er 1937 lapidar: „Gefällt Ihnen mein Werk nicht, so steht es Ihnen frei, mich aus der Mitgliederliste der Akademie zu streichen; ich werde aber nichts tun, was als Geständnis eigener Unwürdigkeit gedeutet werden könnte.“

In Emden zu erleben sind 35 Arbeiten von Emil Nolde sowie als Kontrastmittel 22 des ideologisch einwandfreien Kollegen Christian Rohlfs – nahezu des Hauses gesamte Sammlungsbestände dieser beiden Künstler. Hinzugehängt sind hauseigene Stücke der „Brücke“-Maler – auch nicht alle saubere Antifaschisten – und 52 Leihgaben. Und für die kleinen Schmunzler zwischendurch einige zum Nolde-Verständnis eher wenig beitragende Interventionen von Lotte Lindner & Till Steinbrenner.

Bei Noldes Judenhass handelt es sich gerade nicht nur um „persönliche Ressentiments“ und „politische Verblendung“, wie es einige Wandtexte nahelegen

Wer die Ausstellung betritt, steht in einem Lesesaal. Ausgelegt sind der „Entartete Kunst“-Katalog und Noldes Memoiren, die er nach dem 2. Weltkrieg von jedwedem Nazi-Verdacht gereinigt hat. Aber auch Siegfried Lenz’„Deutschstunde“ ist einzusehen: Hat darin die Maler-Figur Max Ludwig Nansen doch Nolde als Vorbild und feiert seinen Mythos als Opfer und furchtlosen Gegner der NS-Zeit. In „Bilder die ich liebe“-Bänden sind Nolde-Gemälde abgebildet, und das ohne jeden Hinweis auf die Blut-und-Boden-Ideologie des Künstlers. Herausgegeben hat diese Bücher einst der Kunsthallen-Gründer Henri Nannen – der selbst in Artikeln Hitler gehuldigt hat (und etwa mit dem Waffen-SS-Projekt „Südstern“ Nazipropaganda betrieben).

Den anschließenden Rundgang inszeniert Kuratorin Kristin Schrader geradezu klassisch, indem sie die künstlerische Entwicklung der beiden Protagonisten parallelisiert: von den anfänglichen Auftragsarbeiten hin zu impressionistischen Landschaften und Blumenbildern, die im Laufe der Jahre leuchtender, greller, farbexpressiver werden, immer spontaner und lebhafter wirken. Mit verlaufenden Aquarellfarben arbeiten Nolde und Rohlfs wie mit der Suggestionskraft pastos aufgetragener, aufbrechender Oberflächenstrukturen. Beide zelebrieren den vibrierend vitalen Ausdruck von Naturerfahrungen – so unverfänglich wie ästhetisch reizvoll.

Spannend wird es bei den figürlichen Zeichnungen und knallbunten biblischen Szenen. Wir sehen Hakennase, fliehende Stirn, böse Blicke in Noldes Veranschaulichung etwa von Juden. Die Begleittexte behaupten, es handele sich um „expressionistisch groteske Überzeichnung“ oder „historischen Realismus“. Auch viele Maler-Kollegen hätten stereotype Judendarstellung in ihren Werken verewigt, weil es eben nicht um Individuen, sondern „einen gesellschaftlichen Typus“ oder einen aus der Bibel gegangen sei.

Christian Rohlfs: „Goldenes Abendlicht am Lago Maggiore“ (1936) Foto: Kunsthalle Emden

Nichtsdestotrotz sind einige Menschendarstellungen rassistisch. Und bei Noldes Judenhass handelt es sich gerade nicht nur um „persönliche Ressentiments“ und „politische Verblendung“, wie es einige Wandtexte nahelegen; andere stellen klar: Der Künstler war Nazi aus innerer und intellektueller Überzeugung. Überzeugend argumentiert die Ausstellung in Exponaten und Begleittexten, so richtige Nazi-Bilder habe Nolde ja nicht gemalt. Das Ausgestellte wirkt mit allem historischen Wissen eher, als hätten sein politisches und künstlerisches Ich kaum Kontakt miteinander gehabt.

Ein eindrucksvolles Beispiel für den Zusammenhang von politischen Aussagen und der Rezeption von Kunst liefert ein Brief von Tekla Hess, Gattin des verstorbenen jüdischen Sammlers Alfred Hess: Sie schrieb 1935 an Nolde, der Antisemitismus in seiner Autobiografie sei ihr derart unangenehm aufgestoßen, dass sie seine Bilder, die ihr so lange Freude bereitet hätten, nicht mehr anschauen könne – sie wolle Stillleben mit Reiterfigur“ (1919) und Blaue und lila Blumen“ (1916) zurückgeben. Der Mensch sieht halt nicht nur mit dem Herzen, auch mit dem Verstand, betrachten ist immer interpretieren. Ein spannender Nebenaspekt dieser Künstlerbiografie, Kunstwissenschaft und, ja: sinnlichen Hochgenuss vereinenden Schau.

Nolde/Rohlfs. Zwei Künstler­leben: bis 23. 4., Kunsthalle Emden