: Streikbrecher Wowereit
Der Streik bei der BVG ist abgewendet. Ver.di und der Senat einigten sich auf einen neuen Tarifvertrag: Die Beschäftigten verzichten auf bis zu zwölf Prozent ihres Lohns, der Bestand des landeseigenen Unternehmens wird bis 2020 garantiert
Der angedrohte Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) findet aller Voraussicht nach nicht statt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der rot-rote Senat einigten sich gestern auf einen neuen Tarifvertrag und langfristigen Bestandsschutz für das landeseigene Unternehmen. Die BVG-Beschäftigten müssen der Tarifeinigung allerdings noch zustimmen, womit Ver.di fest rechnet. Die gestern Nacht abgeschlossene Urabstimmung über einen möglichen Arbeitskampf soll vorerst nicht ausgezählt werden.
Der nun gefundene Tarifkompromiss, der ab September in Kraft treten soll, bedeutet für die Beschäftigten Einkommenseinbußen von bis zu zwölf Prozent. Der rot-rote Senat verpflichtet sich im Gegenzug, die Arbeitsplätze zu erhalten und den Bestand des Unternehmens bis mindestens 2020 zu sichern. Ab 2008 haben beide Seiten die Möglichkeit, den Tarifvertrag nachzuverhandeln. Für die Gewerkschaften könnte es dann zum Beispiel um einen Inflationsausgleich für die Beschäftigten gehen.
Der Tarifvertrag funktioniert ähnlich wie im öffentlichen Dienst nach dem Motto: weniger Arbeit für weniger Geld. Künftig wird die Arbeitszeit bei der BVG auf 36,5 Stunden pro Woche reduziert, ohne Lohnausgleich. Zudem erhalten die rund 12.000 Beschäftigten kein Urlaubsgeld mehr, das Weihnachtsgeld wird auf 1.000 Euro pro Person gekürzt. Insgesamt summieren sich die Einkommensverluste auf acht bis zehn Prozent. Bei den außertariflich bezahlten Mitarbeitern – darunter befindet sich die komplette Führungsriege – wird noch mehr gespart: und zwar um 12 Prozent.
Durch den Tarifvertrag sinken die Personalkosten des landeseigenen Unternehmens, das jährlich mehrere hundert Millionen Euro Subventionen erhält, um 38 bis 39 Millionen Euro. Das ist mehr, als die Gewerkschaft zuletzt angeboten hat – und weniger, als der Senat forderte. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zeigte sich denn auch nur „recht zufrieden“ mit dem Kompromiss. Auf längere Sicht gesehen, sei die Kosteneinsparung aber deutlich, so Sarrazin, der auch Aufsichtsratschef der BVG ist.
Mit der Einigung waren aber beide Seiten letztlich zufrieden. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bedankte sich ausdrücklich bei den Ver.di-Vertretern. Mit den weit reichenden Lohnkürzungen leisteten sie einen bedeutenden Sanierungsbeitrag im Haushaltsnotlageland Berlin.
Der Ver.di-Bundesvorsitzende Franz Bsirske wertete die Einigung trotz schmerzlicher Lohneinbußen für die BVG-Mitarbeiter als positives Ergebnis. „Der Kern für uns war die Garantie des Landes, die BVG bis 2020 zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum zu halten.“ Zudem habe die BVG zugesichert, weiter auszubilden und die Azubis im Anschluss für mindestens ein Jahr zu übernehmen, ergänzte Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen. Das Tarifergebnis sei eine „klare Besitzstandsgarantie“ für die Beschäftigten.
Bei der BVG-Tochter Berlin Transport (BT) sollen die Wochenstunden ebenfalls abgesenkt werden: von bislang 41,5 auf 39 Stunden. Das geschehe jedoch bei vollem Lohnausgleich, hieß es. BT-Mitarbeiter erhalten bereits deutlich weniger Geld als ihre BVG-Kollegen und müssen länger arbeiten. Langfristig soll dieses Verdienstniveau die Grundlage für die Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen in Berlin sein.
Ein Schmankerl bietet der Tarifvertrag allerdings noch: Darüber abstimmen dürfen nur die Kollegen, die Gewerkschaftsmitglieder sind. Und der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen gilt nur für sie. Zurzeit sind rund vier Fünftel der BVG-Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.
RICHARD ROTHER