: Zeitenwende in der Kunst
Der Kunstverein Wolfsburg widmet sich dieses Jahr dem Aufbruch und Neuanfang. Zum Auftakt geht es in einer Gruppenausstellung ums Sparen und Bewahren: um Entsorgung und Upcycling, Restemärkte und nachhaltige Zukunft
Von Bettina Maria Brosowsky
Zeitenwende: Diese neue Pathosfloskel, die Kanzler Olaf Scholz am Sonntag, dem 27. Februar 2022 in Reaktion auf den russischen Überfalls auf die Ukraine ins mediale Leben rief, erfreut sich mittlerweile nicht nur staatstragender Beliebtheit. In fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wird ein entsprechendes Umdenken gefordert, einhergehend mit der Aufforderung, verantwortlich mit Ressourcen umzugehen, Abhängigkeiten zu reduzieren, oder auch nur den Gürtel enger zu schnallen, weil nun vieles einfach nicht mehr so preiswert erhältlich ist.
Der Kunstverein Wolfsburg, der in seinen Jahresprogrammen stets den aktuellen gesellschaftlichen Befindlichkeiten nachspürt, ließ sich dieses Phänomen natürlich nicht entgehen, interpretiert es, optimistisch, als Aufbruch oder Neuanfang. Das Motto für 2023 ist folglich „Beginner“ – ein Begriff in doppelter Entlehnung. Zum einen entstammt er einem Buchtitel des politischen Autors und taz-Kolumnisten Robert Misik, „Das große Beginnergefühl. Moderne, Zeitgeist, Revolution“, das wenige Monate nach Scholz' Rede erschien. Misik bediente sich textlich bei Bert Brecht, der nach dem Ersten Weltkrieg in sein Arbeitsjournal notierte: „Man braucht die große Tabula rasa, das Beginnergefühl.“ Brecht mag vielleicht der originäre Wortschöpfer gewesen sein, inhaltlich geht dieses Gefühlsbedürfnis jedoch zurück auf Karl Marx, „denn von Marx lernen heißt beginnen lernen“, so Misik.
Das Wolfsburger Beginner-Jahr wird sich etwa Aspekten postkolonialer Neubewertung von Kulturgütern widmen oder einem digital wiederbelebten Dadaismus. Zum Auftakt geht es jetzt aber erst einmal, ganz handfest, um die Kunst des Sparens und Bewahrens. „Saving“, so der englische Titelbegriff, ist natürlich komplexer, wie Kunstvereinsleiter Justin Hoffmann anmerkt: Speichern, aufbewahren, retten, vormerken und anderes klingt an, alles durchaus auch Techniken der Kunstproduktion und ihrer Reflexion.
Am bildgewaltigsten demonstriert der ghanaische Künstler Rufai Zakari das Prinzip des Ressourcensparens durch ein klassisches Upcycling von vermeintlich Wertlosem. 1990 geboren, hat Zakari 2011 eine Ausbildung am Ghanatta College of Arts and Design abgeschlossen. Sein Material sind Folien und flächige Kunststoffe, die er in einem partizipativen und entlohnten Schaffensprozess von Frauen und Kindern aus dem (importierten) Müll sammeln lässt. Gereinigt, weiter geglättet und zugeschnitten, vernäht er dann Einzelteile zu großen farbstarken Motiven, meist Porträts von in Ghana wichtigen Menschen.
In Afrika betrieb auch die Hamburger Künstlerin Nana Petzet vor gut zehn Jahren ihre „Feldforschung“, genauer auf dem Restemarkt „Mercato“ in Addis Abeba, der konstant mit westlichem Zivilisationsmüll geflutet wird. Alles wird dort weiterverwendet und verkauft, erzählt Petzet: Altpapier, als Wertstoff gebündelt und abgewogen, Körbe, geflochten aus Streifen von Plastiktüten, oder ein kleines Blechfass, das beidseitig bespannt zur Trommel mutierte. Sie fand so abenteuerliche Dinge wie Fitness-Geräte aus alten Zahnrädern und Motorachsen: Alles ideal zum Kunstschaffen der 1962 in München Geborenen passend.
Denn Petzet hatte sich etwa mit dem fragwürdigen Rücknahmesystem des „Grünen Punkts“ befasst: Statt das endemische Problem von zu viel (Verpackungs-)Müll anzugehen, wurde es auf die individuelle Entsorgungspflicht inklusive Kostenübernahme abgewälzt. Als Kritik schuf sie aus Altmaterial Objekte, durchaus ähnlich denen aus der schier unendlichen afrikanischen Kreislaufwirtschaft. Wenngleich: Dem Dämmstoff-Innenleben eines ausrangierten Kühlschranks vermochten selbst findige Afrikaner:innen keinen rechten Nutzen mehr abzugewinnen – nur ein lokaler „Junk Artist“. Über ihn fand dieser unappetitliche, absolute Rest eines Restes nun nach Wolfsburg.
Auch Inken Reinert aus Berlin recycelt. Allerdings wollen ihre Assemblagen aus alten Schrankwänden „Made in GDR“ nur bedingt neue Aufgaben bewältigen, so etwa die multifunktionale Bar des Wolfsburger Kunstvereins, die sie 2010 im Zuge der Neugestaltung der Räumlichkeiten installierte. Der Ausstellungsbeitrag der in 1965 in Jena Geborenen und in der DDR Sozialisierten ist ein fraktales Arrangement aus Seitenwänden, Zwischenböden, Schubkästen und Glaselementen ausgemusterter Wohnungseinrichtungen, das die alltagskulturelle Utopie einer sozialistischen Moderne, aber auch ihre achtlose Entsorgung nach der Wende in Erinnerung ruft.
Andere Töne schlägt Daniele Lauriola aus Wolfsburg an. Er gehörte im letzten Jahr zu den Preisträger:innen des arti, jenes oftmals künstlerische Karrieren befördernden Preises des Kunstvereins. Seine Rauminstallation sieht er als „Netzwerk der Dringlichkeiten“: Rote Fäden ziehen sich über aktuelle Text- und Bildausschnitte diverser Zeitungen, die so Unterschiedliches wie Naturfrevel, große Katastrophen oder den kleinen Hoffnungsschimmer für einen Wiederaufbau der Ukraine verknüpfen. Es sind aber Fragen, die den 1993 geborenen Wirtschaftsingenieur mit einem Master in Transformationsdesign sowie Initiator eines „Instituts für Zukünfte“ interessieren. Sein Raum will überfordern, sagt er, Besucher:innen sind zudem aufgefordert, eigene Gedanken oder weitere Materialien beizusteuern. So soll sich in der Strategie einer intellektuellen Kollektivökonomie die Installation weiter verdichten und an Komplexität gewinnen.
Saving. Die Kunst des Sparens und Bewahrens: bis 7. 5., Kunstverein Wolfsburg
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