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Glamour in kolonialem Setting

Julien Duvivier (1896–1967) war einer der erfolgreichsten Regisseure im Frankreich seiner Zeit. Ab Mittwoch widmet ihm das Kino Arsenal die erste Retrospektive hierzulande überhaupt

Von Fabian Tietke

Die Jahre der französischen Volksfront-Regierung von 1936 bis 1938 gehörten zu den innovativsten des französischen Kinos vor dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1935 fand ein Abwärtstrend der Einnahmen auch durch die Umstellung auf den populären Tonfilm ein Ende und Gestaltungswillen und Publikumsinteresse gingen eine seltene Allianz ein. Im Sommer 1936 dreht Julien Duvivier, einer der erfolgreichsten französischen Regisseure jener Zeit, „La belle équipe“, einen Film über fünf Freunde, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen.

Als sie in der Lotterie gewinnen, scheint ihnen unerwartet die Welt offen zu stehen. Sie kaufen ein Ausflugslokal am Stadtrand von Paris, doch das Projekt steht unter keinem guten Stern. Am Ende bleiben nur zwei der Freunde übrig, und ihnen gibt die Exfrau des einen den Rest. Die Hoffnungen zerschlagen sich. „La belle équipe“ eröffnet am Mittwoch im Arsenal eine Werkschau mit dem Titel „Mise en Scène: Julien Duvivier“. 19 der 70 Filme, die Duvivier zwischen 1919 und 1967 gedreht hat, haben Ralph Eue und Frederik Lang ausgewählt.

Duvivier galt Zeitgenossen als einer der großen Regisseure, verstand sich jedoch nicht als Autorenfilmer, sondern eher als Handwerker des Films. „La belle équipe“ zeugt von Duviviers Inszenierungskunst für Studioaufnahmen und seine Schauspielführung. Kurz nach „La belle équipe“ dreht Duvivier einen seiner bekanntesten Filme: „Pépé le Moko“. Jean Gabin spielt einen stutzerhaften französischen Gangster, der aus Paris in das von Frankreich kolonisierte Algerien flieht und in der Casbah, der Altstadt von Algier, abgetaucht ist. Die französische Polizei versucht ihn dort zu fassen. Doch Pépé le Moko hat ein dichtes Netz von Bekannten in der Casbah, die ihn mit allerhand Zeichen warnen. Die Casbah ist für Pépé le Moko ein goldener Käfig, in dem er sicher ist, aber aus dem er nicht herauskann, ohne verhaftet zu werden.

Duviviers Film greift den Kriminalfilm, der sich auch in den 1930er Jahren einiger Beliebtheit erfreute, auf, erweitert ihn jedoch deutlich, indem er den Film in ein koloniales Setting verlegt, was inszenatorische Möglichkeiten für Glamour und eine große Bandbreite von sozialen Miniporträts eröffnet. Nicht zuletzt durch die Figur der schönen Pariser Touristin Gaby Gould (Mireille Balin), in die sich Le Moko verliebt, entwickelt Duvivier sein Werk in Richtung eines Film Noir.

„Pépé le Moko“ war ein internationaler Filmhit. 1938 folgte ein US-Remake („Algiers“), später folgten eine US-Musicalversion („Casbah“, 1948) und eine Komödie des italienischen Komikers Totò („Totò le Mokò“, 1949). Neben diesem seichten Fortleben wirkt der Film stellenweise auch wie eine Vorwegnahme des kolonialen Amoklaufs von Frankreich, das Ende der 1950er Jahre in der Schlacht um Algier gipfelt. So versucht ein lokaler Polizist zu Beginn des Films, einem der Polizisten aus Frankreich das Problem zu klären, Pépé le Mokos in der Casbah habhaft zu werden. In übelstem Kolonialsprech beschreibt der Polizist die Enge der Altstadt: „Wohin man auch blickt, steigen Treppen steil wie Leitern hinauf oder in dunkle, faulige Abgründe oder in feuchte Säulengänge hinab, in denen es von Ungeziefer wimmelt.“

Duvivier brachte der Film einen Vertrag mit der US-Produktionsfirma MGM ein. Er dreht 1938 in den USA, kehrt aber bald wieder nach Frankreich zurück. Es entsteht eine Verfilmung von Selma Lagerlöfs Roman „Der Fuhrmann des Todes“. Die letzte Person, die vor dem Jahreswechsel stirbt, muss ein Jahr lang die „La charrette fantôme“, den Geisterwagen, ziehen. Viktor Sjöström hatte den Roman 1921 schon einmal als Schauerfilm mit einer komplexen Zeitstruktur aus Rückblenden erzählt, Duvivier vereinfacht in seiner Version die Zeitstruktur und arbeitet die christlichen Motive der Handlung stärker heraus. Anfang der 1940er Jahre wechselt Duvivier in die USA, wo bis 1944 in dichter Folge fünf Filme entstehen.

Der Regisseur Julien Duvivier sah sich nicht als Auteur, sondern als Handwerker

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrt Duvivier zurück nach Europa. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die beiden Don-Camillo-Verfilmungen (entstanden 1952 und 53). Mithilfe der Hauptdarsteller Fernandel und Gino Cervi gelang es dem Regisseur, die Vorlage des Erzreaktionärs Guareschi in Komödien zu verwandeln, denen man den geifernden Antikommunismus des Autors wenig anmerkt.

Die Filmreihe „Mise en Scène: Julien Duvivier“ präsentiert einen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen, wandlungsfähigen Meister der Inszenierung. Die Auswahl gibt Einblick in die unterschiedlichen Formen und Erzählweisen, die Duvivier im Laufe seiner Laufbahn nutzte.

„Mise en Scène – Julien Duvivier“, bis 31. März, Kino Arsenal

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