SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Und immer noch mal nachtreten
Drei Redakteure der Süddeutschen Zeitung haben den Henri-Nannen-Preis abgelehnt, weil sie den nicht mit Kollegen von Bild teilen wollten. Ausgerechnet den für Investigation. Und ausgerechnet mit Bild. Ob das Boulevardblatt mit den unlauteren Arbeitsmethoden so aus der Schmuddelecke kommt? Die Emotionen jedenfalls kochten hoch. „Das ist ein Drecksblatt“ empörte sich Preisträger Hans Leyendecker. Das hatte Günter Wallraff mit seinem Undercover-Einsatz 1977 bewiesen: Das auflagenstärkste deutsche Blatt lügt und erpresst. Doch das wusste man bereits vorher.
Bei einer Auflage von rund drei Millionen Exemplaren kann tatsächlich niemand von nichts gewusst haben. Jeder weiß, womit Bild Quote macht: mit stereotyper Überzeichnung, Sozialneid, verletzten Persönlichkeitsrechten, Demütigung. Sie setzt auf die Wut der kleinen Leute. Millionen LeserInnen stehen darauf. In den vergangenen Jahren lancierte Bild mehrere Sozialstaatsdebatten. Emotionales Schmiermittel im Jahr 2010 war Arno Dübel, „Deutschlands frechster Arbeitsloser“. Fast 40 Artikel widmete Bild dem Mann, der seit 30 Jahren mit Zigarette und Bier auf der Fernsehcouch abhänge, statt zu arbeiten. Die LeserInnen waren außer sich, denn Dübel schien mit seiner Situation zufrieden – skandalös zu Zeiten eines Arbeitsethos, dessen größter Schreck Depression und Burn-out sind, also die Unfähigkeit das (Arbeits-)Leben selbst in die Hand zu nehmen. In den Kommentaren auf Bild.de schlug Dübel ungefilterter Hass entgegen (Christian Baron/Britta Steinwachs: „Faul, frech, dreist – Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch BILD-Leser*innen“, Edition Assemblage 2012). Eine Rentnerin setzte die „Mischung aus moralischer Empörung, beißendem Spott und sozialer Abwertung“ in Aktion um und verprügelte Dübel.
Das ist Bild. Die Gazette tritt immer nach. Selbstverständlich hatte der Eimer Jauche, mit dem sie die Erwerbslosen übergoss, Konsequenzen. Nach dem Motto „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ soll der Einzelne nicht mehr als ein Existenzminimum vom Staat bekommen. Die ALG-2-EmpfängerInnen wurden kollektiv schuldig gesprochen. Noch 2010 strich die Regierung die Posten für Alkohol und Zigaretten aus dem Regelsatz. „Schluss mit Freibier und Kippen für Arno Dübel“, triumphierte Bild. Und mit ihr ihre LeserInnen.
■ Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der taz-Kulturredaktion